«Es findet eine Verlagerung des Verkehrs statt»
22.07.2022 BirmenstorfThomas Merz, Kieswerkbesitzer, äussert sich zu den Argumenten der Interessengemeinschaft «Neue Kiesgrube Nein»
Mit oder ohne Kiesgrube – «Der Verkehr führt genau gleich durch Birmenstorf, weil unsere Versorgungsrouten an dieser Strecke liegen», sagt ...
Thomas Merz, Kieswerkbesitzer, äussert sich zu den Argumenten der Interessengemeinschaft «Neue Kiesgrube Nein»
Mit oder ohne Kiesgrube – «Der Verkehr führt genau gleich durch Birmenstorf, weil unsere Versorgungsrouten an dieser Strecke liegen», sagt Thomas Merz und antwortet den Gegnern der geplanten Kiesgrube im Grosszelg.
Von langer Hand geplant, könnte bald eine neue Kiesgrube im Gebiet Grosszelg entstehen. Auf rund 15 Hektaren sollen an der Fislisbacherstrasse, neben der Autobahn, in den nächsten 20 Jahren über 2 Millionen Kubikmeter Kies durch die IG RMK Kies (Merz Baustoff AG in Gebenstorf, Meier Söhne Knecht AG in Brugg und Richi AG in Weinigen) abgebaut werden. Der Aargauer Grossrat hat einer Anpassung des kantonalen Richtplans im Dezember 2019 zugestimmt. Einer der letzten Verfahrensschritte steht aber noch aus. Die Birmenstorfer Stimmberechtigten können die Umzonung von Ackerland in Materialabbauzone an der Gemeindeversammlung im November ablehnen oder genehmigen.
Von Anfang an regte sich in Birmenstorf Widerstand gegen die neue Kiesgrube Grosszelg. Im Juni ist die Interessengemeinschaft «Neue Kiesgrube Nein» an die Öffentlichkeit getreten. Sechs Birmenstorfer (Marco Biland, Bruno Boo, Werner Ehrler, Beat Maag, Franz Rettich und Patrick Zehnder) sowie weitere Interessierte wehren sich gegen wachsenden Schwerverkehr und gegen die Ausbeutung der Birmenstorfer Kiesvorkommen («Reussbote», 10. Juni). Sie setzen sich für hohe Lebensqualität in ihrem Dorf ein, für problemlose Erreichbarkeit, für absolute Verkehrssicherheit und für eine intakte Umwelt. – Im Interview nimmt Thomas Merz, Inhaber der Merz Baustoff AG, Stellung zu den Argumenten der IG «Neue Kiesgrube Nein».
◆ Herr Merz, kurz vor der Zielgeraden kommt die IG «Neue Kiesgrube Nein» Ihrem Anliegen in die Quere. Überrascht Sie dieser Bürgerprotest zum jetzigen Zeitpunkt?
Thomas Merz: Nein. Mir gefällt ausserdem der Begriff Bürgerprotest nicht. Menschen wollen ihre Meinung einbringen. Das ist zu respektieren. Ich bin aber überzeugt, dass miteinander reden ein besserer Weg gewesen wäre. Seit 2,5 Jahren kommunizieren wir öffentlich, mit Newslettern in Briefkästen, an Feldanlässen, auf unserer Internetseite und an Informationsveranstaltungen ... Andererseits ist ein solcher Widerstand heute normal.
◆ Mit dieser Bewegung könnte ein «Nein» zum Kiesabbau Grosszelg an der Gemeindeversammlung drohen.
So ist unsere Demokratie. An der Gmeind können Stimmberechtigte Ja oder Nein sagen, verbunden mit sämtlichen kurz-, mittel- und langfristigen Konsequenzen. Dabei sollte die Sache nicht vergessen gehen. – Übrigens könnte auch ein Ja drohen.
◆ Die Sache?
Es geht um regionale Kiesversorgung. Im Grossszelg soll weitergeführt werden, was für unseren 1914 gegründeten Familienbetrieb wichtig ist. Abhängig vom Entscheid der Gemeindeversammlung könnten einschneidende, möglicherweise existenzielle Konsequenzen daraus resultieren.
◆ Die IG wehrt sich besonders gegen Lastwagenfahrten durch ihr Dorf. Der Planungsbericht «Kiesabbau Grosszelg» erwähnt rund 50 000 Fahrten im Jahr, 200 an jedem Werktag.
200 Lastwagen im Anfahrtsbereich der Grube, nicht durch besiedeltes Gebiet. Gegenüber 178 Fahrten heute im Anfahrtsbereich der Grube Niderhard. In erster Linie findet eine Verlagerung des Verkehrs statt.
◆ Das heisst?
Heute befindet sich das Niderhard mit täglich 178 errechneten Lastwagenfahrten am nördlichen Dorfrand. Die Kiesgrube Grosszelg käme am südlichen Dorfrand zu stehen. Gerechnet wird dort mit 200 Fahrten täglich.
◆ Nicht alle fahren durchs Dorf?
Die Fahrten durchs Dorf ins Niderhard betreffen heute zu 80 Prozent den Transport vom Aushub. Aushubtransporte aus dem Grosszelg werden beim Bire-Kreisel direkt Richtung Autobahn abzweigen. Über diesen Kreisel und dann durchs Dorf Richtung Kieswerk Gebenstorf fahren auch die mit Kies beladenen Lastwagen. Täglich sind das rund 20 Lastwagen mehr als heute. Beim Bire-Kreisel wird tatsächlich mehr Bewegung als heute entstehen.
◆ Sie verstehen, dass der Mehr- und Schwerverkehr im Dorf als Belastung erlebt wird?
Ja. Ich bin an einer Hauptstrasse mit viel Durchgangsverkehr aufgewachsen. Aber das Verkehrsproblem wird nicht gelöst, wenn es im Grosszelg keine Kiesgrube gibt. Ein «Nein» reduziert keine Lastwagendurchfahrten im Dorf. Diese Wahrnehmung ist falsch.
◆ Dennoch wird in der Kiesgrube Niderhard 2023 der Abbau beendet. Damit fallen täglich rund 180 Lastwagendurchfahrten weg. Die IG erhofft sich eine Verkehrsberuhigung. Mit einer neuen Kiesgrube im Grosszelg wird diese Hoffnung zerschlagen.
Ich kann aber nicht mein Kieswerk in Gebenstorf abstellen. Das Kieswerk ist unsere Existenzgrundlage und die unserer 80 Mitarbeiter. Hier wird auch künftig gearbeitet, mit oder ohne Kiesgrube in Birmenstorf. Neue Verkehrsströme werden aufgebaut. Ohne Kiesgrube Grosszelg fallen längere Transportwege an, es wird unwirtschaftlicher. Der Verkehr führt hingegen genau gleich durch Birmenstorf, weil unsere Versorgungs- und Auslieferungsrouten an dieser Strecke liegen.
◆ Die IG möchte die letzte Kiesreserve späteren Generationen erhalten.
Ich gehe davon aus, dass in 20 Jahren keine neuen Gebiete für Kiesabbau erschlossen werden – Kiesabbau geschieht wohl nur noch in bestehenden Gruben. Eine 10-Millionen-Schweiz lässt eine Abbaugenehmigung unwahrscheinlich werden.
◆ Warum?
Aus verschiedenen Gründen: Einen erleben wir gerade in Birmenstorf. Der politische Druck, respektive von Bevölkerungsgruppen nimmt zu. Bewilligungsverfahren und die öffentliche Sensibilität lassen solche Vorhaben in Zukunft schwieriger oder gar unmöglich werden. Ein Kiesabbauer sichert sich aber langfristig Grundstücke. Im Grosszelg sind wir seit über zehn Jahren am Planen, in einem mehrstufigen öffentlich-rechtlichen Verfahren.
◆ In der Region sucht eine Arbeitsgruppe seit Jahren Gebiete als Aushubdeponie und für den Kiesabbau. In Birrhard hat der Gemeinderat letztes Jahr in einer frühen Planungsphase das Projekt «Steibode» abgebrochen. Davon war auch ihr Unternehmen betroffen. Droht der Kiesgrube in Birmenstorf das gleiche Schicksal?
Nein. Gemeinderat und Gemeinde kenne ich seit 26 Jahren. Seit den 1950er-Jahren handelte es sich um ein Miteinander.
◆ Was gewinnt Birmenstorf mit einer neuen Kiesgrube im Grosszelg?
Was hat die Gemeinde bis jetzt gewonnen? In Birmenstorf wird seit den 1950er-Jahren Kies abgebaut. Der Bau unseres Kieswerks in Gebenstorf ist kein Zufall. Als traditionelle Kiesabbaugemeinde nimmt Birmenstorf Verantwortung wahr. Mit dem Vorteil, dass sie bei der Planung mitredet, Einfluss nehmen kann. Sie hat einen Ansprechpartner, etwa bei Verkehrsfragen oder bei Fragen rund um Immissionen. Und die Bevölkerung wird zu Mitwirkungsverfahren eingeladen.
◆ Konkret?
Die Gemeinde kann Verkehrsreduktionen während Stosszeiten verlangen oder Fahrten an Samstagen verbieten. Steht die Kiesgrube in einer anderen Gemeinde, fällt dieser Einfluss weg. Der Verkehr aber bleibt, weil überall gebaut wird: Strassen, Velowege, Ein- und Mehrfamilienhäuser, Gärten, Schulen, Brücken. Das alles benötigt Sand, Kies, Beton.
◆ Einflussnahme also. Was noch?
Die Finanzen. Die Gemeinde erhält Inkonvenienzentschädigungen, oder anders ausgedrückt Immissionsentschädigungen. Im Kieskanton Aargau mit einem der grössten Kiesverbände geschieht das auf privat-rechtlicher Basis.
◆ Entschädigungen wofür?
Sozusagen für «Unannehmlichkeiten».
◆ Staub, Lärm?
Durch Birmenstorf fahren jährlich rund 4,5 Millionen Autos, Busse, Lastwagen – 12 500 an 365 Tagen. Das sind kantonale Zahlen. Der Schwerverkehr macht einen kleinen Teil aus, noch kleiner ist derjenige durch unsere Kiesgrube. In einer Kiesgemeinde verbindet man jeden Lastwagen rasch mit der Kiesgrube im Dorf oder mit dem naheliegenden Kieswerk. Die Mehrheit der Lastwagen, die durch Birmenstorf fährt, hat aber nichts mit dem Gebenstorfer Kieswerk zu tun.
◆ Die Gegner empfinden die Inkonvenienzentschädigung, berechnet auf eine Betriebszeit von 20 Jahren, als nicht allzu hoch.
Die Gemeinde hat ein Angebot erhalten und wird diese Zahl zu gegebener Zeit kommunizieren.
◆ Das interessiert Steuerzahlende.
Diese Zahl kann sich im Rahmen der Kosten eines kleineren oder mittleren Schulhauses bewegen. Bürgerinnen und Bürger beurteilen eine solche Entschädigung, die mehrere Steuerprozente ausmachen kann, erfahrungsgemäss unterschiedlich. – Gleichzeitig stellt sich die Frage: Warum muss sich eine regional tätige Branche, geprägt von KMUs, mit einem Wegzoll frei kaufen, um arbeiten zu dürfen? Ist das in Ordnung?
◆ Das ist Ansichtssache ... Einfluss und Entschädigung also als Gewinn?
Heute wird im Grosszelg zu 100 Prozent intensiv Landwirtschaft betrieben, eine kleine Fläche im Bio-Anbau. Nach erfolgtem Kiesabbau gibt es neue Ökoflächen und weiterhin intensive Landwirtschaft. Auf Birmenstorfer Gemeindegebiet gibt es ökologisch gepflegte Flächen, die es ohne Kiesabbau nie gegeben hätte. Aktuell werden die Grössen dieser Flächen aufgrund von Einsprachen durch WWF und Pro Natura diskutiert. Zu bedenken gilt: Kiesabbau ist Nutzung auf Zeit.
Heidi Hess
Die Argumente der Interessengemeinschaft «Neue Kiesgrube Nein» wurden im «Reussbote» bereits am 10. Juni ganzseitig erläutert.