Der Verein bemängelt Verfahrensfehler
23.09.2022 Niederwil, FreiamtDer Verein Verträgliche Starkstromleitung Reusstal gibt nicht auf. Er will mehr Kompromisse und auch Vorteile für die Bevölkerung
Der Verein Verträgliche Starkstromleitung macht weiter und hofft auf die Unterstützung durch den Kanton und die Gemeinden. ...
Der Verein Verträgliche Starkstromleitung Reusstal gibt nicht auf. Er will mehr Kompromisse und auch Vorteile für die Bevölkerung
Der Verein Verträgliche Starkstromleitung macht weiter und hofft auf die Unterstützung durch den Kanton und die Gemeinden. Ausserdem kritisiert er Verfahrensfehler.
Ende August hatte der Bundesrat entschieden: Die Höchstspannungsleitung, welche die bisherige Leitung im Reusstal ersetzen soll, ist grundsätzlich als Freileitung geplant. Damit spricht sich der Bundesrat gegen eine Vollverkabelung, wie sie die Gemeinden im Reusstal, im Bünztal und auch der Verein Verträgliche Starkstromleitung Reusstal (VSLR) wünschten, aus. An seiner ersten Vorstandssitzung im Jahr 2022 hält der VSLR im September – nach langem Warten – deshalb fest: «Die Konsternation im Vorstand ist nach dem Bundesratsbeschluss gross.»
Fakt ist, der Bundesratsbeschluss ist rechtskräftig; weitere Diskussionen sind zur Zeit ausgeschlossen. Das Bundesamt für Energie (BFE) kann von Swissgrid nun ein Baugesuch ausarbeiten lassen. Sobald dieses Gesuch veröffentlicht ist, können Gemeinden, Kanton, Private, Verbände oder der VSLR Einwendungen machen. Wird auf diese Einwendungen nicht eingetreten, bleibt als letzte und einzige Instanz das Bundesverwaltungsgericht.
Ist Urteil der Swissgrid unabhängig?
Für den Verein ist besonders stossend, dass er Fehler im Verfahren erkennt. Der VSLR hatte Heinrich Brakelmann, Ingenieur und emeritierter Professor für Energietransport und Energiespeicherung an der Universität Duisburg, sowie einen weiteren Experten beauftragt, einen Fragenkatalog zusammenzustellen. Diese Fragen wurden dem BFE übermittelt. Beantwortet wurden sie vom Unternehmen Swissgrid, das für den Bau der Freileitung verantwortlich ist. Laut VSLR ein grosser Mangel. Der Vorstand hält fest: «Da die Firma Swissgrid in den Gesamtprozess involviert ist, ist sie befangen. Eine unabhängige Stelle hätte die Fragen beantworten müssen.» Der Verein VSLR bemängelt ausserdem, dass er die Antworten des BFE auf diesen Fragenkatalog erst vor Kurzem und damit nach dem Entscheid des Bundesrates erhalten habe. Sollten ausserdem Verfahrensfehler vorliegen, müsste der Prüfungsbericht des Bundesamtes für Raumentwicklung in Frage gestellt werden.
Was tun Kanton und Gemeinden?
Unter anderem wegen der Verfahrensmängel, aber auch weil die Bevölkerung hinter der Verkabelung steht, will der VSLR weiter kämpfen. Dabei hofft er auf Unterstützung durch den Kanton und die Gemeinden. Regierungsrat Stephan Attiger hat vom Verein inzwischen einen Brief erhalten. Der Kanton hatte die Forderungen der Gemeinden mitgetragen und sich nach dem Bundesratsbeschluss enttäuscht gezeigt. – Regierungsrat Attiger rechnete mit einem Bereinigungsverfahren. Der VSLR möchte nun wissen, ob der Kanton den Entscheid des Bundesrates akzeptiert. Aufgrund der Verfahrensmängel stellt der VSLR zudem die Evaluation des Planungskorridors und der Übertragungstechnologie in Frage. Noch steht eine Antwort des Regierungsrates aus.
Der VSLR wird sich ferner an die betroffenen Gemeinden wenden, um abzuklären, wie das weitere Vorgehen aussehen soll. Alleine entscheiden könne und wolle der Verein nicht: «Die Gemeinden müssen mitmachen, sonst macht ein Weiterzug keinen Sinn.»
Heidi Hess
«Das ziehen wir jetzt durch, bis ans Ende»
◆ Herr Kneubühler, Aufgeben ist für Sie und den Verein keine Option?
Hans Kneubühler: Nein. Allerdings haben wir zwei Herzen in unserer Brust. Wir sind natürlich sehr enttäuscht, auch etwas müde und im ersten Moment haben wir durchaus damit geliebäugelt, den Bettel hinzuschmeissen. Aber an unserer letzten Vorstandssitzung haben wir uns gegenseitig aufgebaut. Aufgeben haben wir ausgeschlossen und stattdessen beschlossen: Das ziehen wir jetzt durch, bis ans Ende.
◆ Wovon hängt Weitermachen ab?
Weiter machen wir ohnehin. Die Frage ist, ob wir auch vor Gericht gehen können. Das hängt von der Unterstützung durch den Kanton ab, auch durch die Gemeinden. Sollten die Gemeinden den Entscheid des Bundesrates akzeptieren, machen auch wir als Verein nicht weiter. Wir verstehen uns als Koordinator der verschiedenen Bestrebungen in der Region – von Niederwil bis Obfelden.
◆ Mit Einsprachen von Ihrer Seite ist aber zu rechnen?
Ja. Dazu werden wir auch juristische Unterstützung benötigen.
◆ Aus Sicht des Bundes stellen bei der Erdverkabelung die Rodungen im Wald ein grosses Problem dar. Sie haben dafür Lösungen?
Auch die Verkabelung bleibt ein Eingriff. Alle hätten die Leitung gerne irgendwo, nur nicht hier... Aber der Standort ist definiert. Nun sollte man einen Kompromiss finden, mit möglichst wenigen Nachteilen und vielen Vorteilen. Dabei sollte nicht einseitig auf die Kosten oder auf abstrakte Gesetzesgrundlagen geachtet werden. Insofern sehen wir die Verkabelung im Wald, sofern Kabel in Waldwege verlegt werden, auch nicht als Rodung. Laut Bundesamt für Energie handelt es sich aber um «Rodungen», – selbst wenn kein einziger Baum gefällt wird. Im Wald gilt grundsätzlich Bauverbot. Das ist formaljuristisch herausfordernd.
◆ Kann eine Freileitung überhaupt als modern bezeichnet werden?
Nein. Diese Technik ist weit aus dem letzten Jahrhundert... Die aktuellen Leitungen wurden 1950 gebaut. Seither hat sich im Freileitungsbau nichts verändert: Es sind Masten mit Drähten, die viel Energieverlust verursachen.
◆ Die Erdverkabelung wäre also eine Investition in die Zukunft, wenn auch eine kostenintensive?
Ja. Absolut. Die Kabel sind zwar teuer. Aber diese Investition geht nicht verloren. (hhs)


