Wie der schwarze Citroën zum Tatwagen wurde
01.11.2022 BirmenstorfAn den Tatwagen, der in Peter Hosslis Buch «Revolverchuchi» erwähnt wird, können sich ältere Birmenstorfer erinnern
Ein Mord in Birmenstorf, darum geht es in der «Revolverchuchi». Peter Hossli las vor, zeigte Fotos und erzählte von seinen Recherchen ...
An den Tatwagen, der in Peter Hosslis Buch «Revolverchuchi» erwähnt wird, können sich ältere Birmenstorfer erinnern
Ein Mord in Birmenstorf, darum geht es in der «Revolverchuchi». Peter Hossli las vor, zeigte Fotos und erzählte von seinen Recherchen und vom Schreiben über den Mordfall Stadelmann.
Wunderbar sei es, meinte Peter Hossli, endlich hier zu sein. Eingeladen zum dorfgeschichtlichen Abend hatten vergangene Woche der Birmenstorfer Gemeinderat und der Kulturkreis. «Birmenstorf», sagte Hossli, «ist einer der wichtigsten Orte in meinem Buch». Er spricht von «Revolverchuchi, Mordfall Stadelmann», erschienen im Jahr 2020. Weder Roman noch Krimi, lässt sich der Text am ehesten in das Genre des «True Crime» einordnen. Denn Hossli, Journalist und Reporter, erzählt darin von einem Verbrechen, geschehen 1957 in Birmenstorf.
Der Mönthaler Max Märki (1931 bis 1996) und seine norwegische Freundin Ragnhild Flater ermordeten den Aarauer Peter Stadelmann. Das Verbrechen – geplant als Betrug und Raub, um zu Geld zu gelangen und in die USA auszuwandern – geriet ausser Kontrolle und endete mit dem Tod Stadelmanns, Handelsreisender für Landmaschinen. Bei Birmenstorf warf ihn das Liebespaar Märki und Flater in die Reuss. Zwei Wochen später stellte sich Märki der Polizei, verhaftet wurde auch Ragnhild Flater. Es kam zum Prozess, zur Verurteilung, beide wurden ins Gefängnis nach Lenzburg gebracht. 1962 wurde Flater ins Frauengefängnis Hindelbank verlegt und 1967 nach Norwegen ausgewiesen. Märki wurde 1972 entlassen.
Wie Hossli auf die Geschichte stiess
Hossli las an diesem Abend Passagen aus seinem Buch und erzählte, wie er zu dieser Geschichte gekommen war. Bei einem Weihnachtsessen habe ihm sein Schwiegervater von einem Mord erzählt, der sich in seiner Jugend, Mitte der 1950er-Jahre, in der Region Baden zugetragen habe. «Es ging um einen Max Märki und um jemanden, der in die Reuss geworfen worden war», sagte Hossli. Die Neugier des Journalisten war geweckt. Zu Hause recherchierte er und stiess im Internet auf ein Foto und einen Artikel, publiziert am 11. November 1957 in der Schweizer Illustrierten. Mehr fand er dazu nicht.
Die Geschichte des verheirateten Familienvaters Max Märki und der norwegischen Hilfsköchin Ragnhild Flater aber packte ihn. Hossli vermutete eine grosse Liebesgeschichte. Hinzu kam, dass der Journalist, der als Jugendlicher im Badener Familienbetrieb Hossli Comestibles Salat verkauft hatte und später überall auf der Welt als Korrespondent recherchiert und Geschichten geschrieben hatte, auf ein grausames Verbrechen vor seiner Haustüre gestossen war. Ein Verbrechen, über das bisher noch kaum geschrieben worden war. Es sei für ihn sozusagen ein Glücksfall gewesen, sagte Hossli in Birmenstorf.
Er wollte mehr erfahren. Der Zugang zu den Gerichtsakten blieb ihm zunächst allerdings verwehrt – 80 Jahre lang gesperrt. Es sei denn Märki wäre tot. Hossli gelang es, Märkis Tod im Jahre 1996 zu belegen.
Zwei Monate lang abschreiben
In der Folge wurden ihm im Aargauer Staatsarchiv sechs Ordner ausgehändigt, mit Obduktionsbericht und vielen Zeugenaussagen, die eine Sicht auf diesen Mord aus den unterschiedlichsten Perspektiven ermöglichte. 1500 Seiten im Original. Fotografieren oder kopieren durfte Hossli nicht. Er schrieb ab, zwei Monate lang im Staatsarchiv, sammelte Unmengen an Material: «Unglaubliche Fundstücke von grosser literarischer Kraft.» – Sichten durfte er auch einen Ordner mit Liebesbriefen, welche die Liebenden im Gefängnis Lenzburg hin und her geschmuggelt hatten. Hossli erfuhr Details über den Mord, genauso wie über den Alltag im Gefängnis. All das fliesst in seinen Text ein. Das Leben in den 1950er-Jahren, ohne Pille, in der Schweiz auch ohne Frauenstimmrecht, erwähnt werden auch Badenfahrt oder Bauboom – historischer Kontext, subtil eingefügt.
Über die Baldegg nach Birmenstorf
In der Turnhalle las Peter Hossli, wie Ragnhild Flater und Max Märki den Aarauer Peter Stadelmann am 19. Oktober 1957 am Bahnhof in Baden erwarteten, um ihn nach einem vorgetäuschten Autoverkauf zu betäuben und seines Geldes zu entledigen. Einige tausend Franken sollten dabei herausspringen. Geld genug, um in den USA einen Neuanfang zu wagen. Von Baden fuhren die beiden mit Stadelmann in einem schwarzen Citroën Légère über die Baldegg, schlugen ihn im Auto mit einem Wagenheber, fuhren durch Birmenstorf bis hinunter an die Reuss, wo Märki Stadelmann ins Wasser warf. «Die Fahrt vom Gstühl bis ins Birrfeld hatte bloss 25 Minuten gedauert. 25 Minuten, die ein Leben beendet und das Leben zweier Menschen verändert hatten», schreibt Hossli in der «Revolverchuchi». Am 19. Oktober 2018 fährt der Autor die Strecke nach: «Ich versuchte, zu recherchieren, wie das Licht aussah, wie, die Farbe der Blätter.»
Noch heute erinnern sich Birmenstorfer an den Tatwagen. Franz Humbel zum Beispiel, 1957 zehn Jahre alt, trug jeden Abend die Milch zum Milchhüsli. Er erzählt wie damals höchstens alle halbe Stunde ein Auto durchs Dorf fuhr. Der schwarze Citroën «in hohem Tempo» sei aufgefallen.
Heidi Hess



