Seit 2003 Nationalrätin, davor im Kantonsparlament
06.01.2023 BirmenstorfDie Wintersession 2022 war die letzte von Nationalrätin Ruth Humbel. Sie tritt nach 20 Jahren in Bundesbern zurück
Die Birmenstorferin Ruth Humbel, Mitte-Nationalrätin, zieht im Gespräch mit dem «Reussbote» Bilanz über ihre Zeit in Bundesbern. Sie ...
Die Wintersession 2022 war die letzte von Nationalrätin Ruth Humbel. Sie tritt nach 20 Jahren in Bundesbern zurück
Die Birmenstorferin Ruth Humbel, Mitte-Nationalrätin, zieht im Gespräch mit dem «Reussbote» Bilanz über ihre Zeit in Bundesbern. Sie berichtet über Erfolge und Niederlagen, über vermehrte Anfeindungen in der Politik und über ihren Rücktritt.
Sie ist die Doyenne in Bundesbern», schrieb der «Tages Anzeiger», als bekannt wurde, dass Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel aus Birmenstorf zurücktritt. Für die 65-jährige Politikerin ging am 16. Dezember 2022 die letzte Parlamentssession zu Ende. Mit Standing Ovations, mit einer ruhmreichen Laudatio von Nationalratspräsident und anerkennenden Worten über alle Parteigrenzen hinweg, wurde die Mitte-Politikerin im Nationalratssaal verabschiedet. «Ich war gerührt, dass ich soviel Anerkennung erfahren durfte», sagt Humbel im Gespräch mit dem «Reussbote». 20 Jahre prägte sie die Gesundheitspolitik in Bern. Beharrlichkeit und Dossierfestigkeit zeichneten sie aus. Sie blieb auch bei einer Niederlage ihrem Weg treu. Das machte die Politikerin nicht in allen Teilen der Bevölkerung beliebt. Beschimpfungen hätten mit Social Media stark zugenommen, sagt Humbel. Das bereite ihr zunehmend Sorge. «Schlimm fand ich vor allem, wenn meine Kinder zu Hause ans Telefon gingen und eine Schimpftirade von irgendwelchen Anrufern über sich ergehen lassen mussten.» Auch das Schreiben von Drohbriefen und Anfeindungen haben stark zugenommen.
Wahlfeier in Remetschwil
Humbels politische Karriere begann 1981, als ihr Onkel und Götti Beda Humbel überraschend in den Nationalrat gewählt wurde und seinen Rücktritt aus dem Kantonsparlament gab. Mellingens alt Stadtammann Hans Peterhans war damals Wahlkampfleiter der CVP Reusstal-Rohrdorferberg. Die CVP traf sich in der «Schöneck» in Remetschwil zur Wahlfeier. Humbel rückte erst mit den Stimmen aus dem Limmattal, mit denen die Reusstaler eine Verbindung eingingen, in den Grossen Rat. Sie wurde mit den meisten Stimmen gewählt. «Ich war sehr überrascht», sagt Humbel. 1981 war Ruth Humbel die einzige Frau im Kantonsparlament, die aus der Reusstal-Region kam. Die ausgebildete Juristin, die damals am Bezirksgericht Baden arbeitete, wurde in die Gesundheitskommission gewählt. Der Kanton schuf ein für damalige Verhältnisse neues, ganz modernes Gesundheitsgesetz. Humbel arbeitete in der Kommission mit. Der Weg führte sie über den Aargauischen Krankenkassenverband, den sie über mehrere Jahre leitete zum Krankenkassenverband Santésuisse. «Es war eine spannende Zeit», bilanziert Ruth Humbel. 2003, nach 22 Jahren im Grossen Rat, rückte Humbel nach dem Rücktritt von Guido Zäch in den Nationalrat nach.
Mit Niederlagen umgehen
Die Juristin und frühere Orientierungslauf-Spitzensportlerin aus Birmenstorf engagierte sich fast ein ganzes Leben lang in der Gesundheitsund Sozialpolitik. «Ich habe es gerne gemacht», sagt sie. Gerade in der Gesundheitspolitik ist es schwierig Mehrheiten zu finden. Das weiss sie aus eigener Erfahrung. Zum Beispiel als es um die Managed Care-Reform ging. Alle Parteien unterstützen die Vorlage. Minderheiten von links bis rechts brachten vor zehn Jahren, zusammen mit Spezialärzten, die Vorlage in der Volksabstimmung zu Fall. Schmerzen politische Niederlagen? «Natürlich. Im ersten Moment schon. Doch das Leben geht weiter», sagt Humbel.
Zwischen Humbel und ihrer Partei gab es in den letzten Monaten öffentlich Streit, weil sich die 65-Jährige von anderen Parteimitgliedern zum Rücktritt gedrängt fühlte und auch von Mobbing sprach. Jetzt passt der Zeitpunkt für Ruth Humbel. Weil die Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen auf die Zielgerade einbiegt. Schon 2009 reichte sie im Parlament eine Initiative dazu ein. Jetzt, in der Wintersession, hat die ständerätliche Gesundheitskommission einen Gesetzesentwurf genehmigt. Möglich ist, dass von Links das Referendum noch ergriffen wird. Die Abstimmung wäre nach den nächsten Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der BVG-Revision. «Es ist besser, bei einem Referendum das Geschäft in der Kommission zu begleiten.» Deshalb stimmt für Ruth Humbel der Zeitpunkt ihres Rücktritts.
Erfolge und Enttäuschungen
Ruth Humbel bezeichnet die Annahme der jüngsten AHV-Revision und die oben erwähnte einheitliche Finanzierung des Gesundheitswesens als ihre schönsten Erfolge. Sie hat sich bei beiden Vorlagen sehr stark engagiert. In der Differenzbereinigung zur AHV-Revision hat sich die Mitte-Parlamentarierin für eine faire und ausgewogene Lösung der Übergangsgeneration von Frauen eingesetzt. «Das knappe Ja der Bevölkerung war für mich eine Erleichterung, ich war dankbar.» Das sind zwei Beispiele aus jüngster Vergangenheit. Humbel gefällt im Parlament vor allem die Arbeit in Kommissionen. «Dort kann ich mitgestalten», sagt sie. Die fünfte IV-Revision und die neue Spital- und Pflegefinanzierung sind weitere Meilensteine Humbels. Sie stiess auch den indirekten Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative an. Enttäuschungen gab es auch, beispielsweise die Ablehnung der Altersvorsorge 2020 vor fünf Jahren. Für Humbel war es eine ausgewogene, gute Lösung. Auch die Ablehnung der Managed Care-Vorlage war eine ihrer grössten Enttäuschungen.
Der Ratsbetrieb veränderte sich in all den Jahren massiv. Früher war alles in Papierform, heute ist die Digitalisierung Standard. Podiumsdiskussionen sind heute eher selten. «Der Wahlkampf geht über die Sozialen Medien und dort wird ausgeteilt.» Der Meinungsbildungsprozess sollte Fakten basiert erfolgen, das sei heute nicht mehr so, und eine gefährliche Entwicklung für die direkte Demokratie, sagt Humbel.
Benedikt Nüssli