«Überall gibt es Grenzen, überall auch Übergänge»
03.02.2023 Niederwil, FreiamtNach 18 Jahren in der Geschäftsleitung des Reusspark wechselt Monica Heinzer von der stationären zur ambulanten Versorgung
Nach 18 Jahren sucht Monica Heinzer eine neue Herausforderung. Vom Reusspark wechselt sie zur Spitex Mutschellen-Reusstal. Im Interview erklärt sie, ...
Nach 18 Jahren in der Geschäftsleitung des Reusspark wechselt Monica Heinzer von der stationären zur ambulanten Versorgung
Nach 18 Jahren sucht Monica Heinzer eine neue Herausforderung. Vom Reusspark wechselt sie zur Spitex Mutschellen-Reusstal. Im Interview erklärt sie, warum sie diesen Schritt gewählt hat.
Ein grosser schwarzer Golden-Doodle wedelt fröhlich mit dem Schwanz, schnuppert und lässt sich streicheln. Der Therapiehund heisst Merlin, gleich wie der grosse Zauberer aus der Artus-Legende. «Er verzaubert alle», sagt Monica Heinzer. Heinzer hat vor 18 Jahren die Leitung der Pflege und Betreuung im Reusspark übernommen. Auf den 1. April wird sie zur Spitex Mutschellen-Reusstal wechseln, die auf Januar 2022 aus den Spitexorganisationen Bremgarten, Kelleramt, Mutschellen und Niederwil gebildet wurde. Heinzer wird bei der Spitex die Geschäftsführung übernehmen. – Weshalb hat sie sich für diesen Wechsel entschlossen? Was reizt Heinzer an der neuen Aufgabe? Wovor hat sie Respekt und was wird sie vermissen?
◆ Frau Heinzer, als künftige Geschäftsführerin der Spitex Mutschellen-Reusstal mit 14 Vertragsgemeinden werden Sie für mehr als 40 000 Menschen zuständig sein. Das sind viel mehr Menschen als heute im Reusspark, wo rund 300 Bewohnerinnen und Bewohner leben?
Monica Heinzer: Das stimmt. Dennoch besteht ein Unterschied: 300 Menschen im Reusspark benötigen in ihrem Gesundheits- oder in ihrem Krankheitsverlauf – je nach Perspektive – über sehr lange Zeit in hoher Beständigkeit sehr viel Pflege.
◆ Ihr künftiger Wirkungsbereich wird also nicht einfach grösser?
Die Organisationsform und der Auftrag sind völlig verschieden.
◆ Warum die Spitex?
Die Gesundheitsversorgung kennt zwei Pfeiler: Die ambulante und die stationäre Versorgung. Aus dem Reusspark kenne ich die stationäre Versorgung und damit die Langzeitpflege mit 24-Stunden-Versorgung an sieben Tagen in der Woche, über Wochen und Jahre hinweg... Die Spitex als ambulante Versorgerin ist für mich neu. Das darf ich nun kennen lernen. Und das ist sehr reizvoll.
◆ Was reizt Sie?
Die Spitex sorgt dafür, dass Menschen daheim gepflegt werden.
◆ Ist das wichtig?
Es entspricht einem innersten Bedürfnis. Wir alle wollen möglichst lange in dem Umfeld bleiben, in dem wir uns am wohlsten fühlen. Wir wünschen zwar punktuelle Unterstützung, aber nur, wo wir sie brauchen. Im besten Fall für begrenzte Zeit, nach einem Unfall oder für eine Wundversorgung.
◆ Welche Erfahrungen aus dem Reusspark werden Ihnen nützen?
Bestimmt mein Netzwerk zu Spitälern, ambulanter Versorgung, stationärer Langzeitpflege. Man kennt sich, verfügt über persönliche Kontakte. Ich kenne die wichtigen Leistungsanbieter in der Region und weiss, welche Zusammenarbeit möglich ist, aber auch, wo Grenzen sind. Sowohl bei der ambulanten als auch bei der stationären Versorgung. Überall existieren Grenzen, überall existieren aber auch Übergänge. Im stationären Bereich kann ich das sehr gut einschätzen. Ich gehe davon aus, dass ich mit dem Wechsel zur ambulanten Versorgung erkenne, wie die Spitex von der Langzeitpflege profitieren kann und umgekehrt.
◆ Man liess Sie beim Reusspark vermutlich ungern ziehen...
... (lacht) ja, das höre ich schon ab und zu.
◆ Andererseits sucht der Reusspark vermehrt die Zusammenarbeit mit der Spitex. Sie können ein wertvolles Bindeglied werden?
Einen entsprechenden Auftrag habe ich nicht (lacht). Als ich meinen Entschluss aber der Geschäftsleitung mitteilte, reifte neben dem Bedauern auch die Erkenntnis, dass das eine gute Sache werden könnte. Der Reusspark hat die Kontakte zur Spitex intensiviert. Mit meinem Seitenwechsel pflegen wir weiterhin die Zusammenarbeit und können Schnitt- und Nahtstellen sorgfältig ausbauen. Der Reusspark ist in dieser Versorgungsregion allerdings nur ein Anbieter unter mehreren Pflegeheimen ...
◆ ...die Spitex Mutschellen-Reusstal reicht bis nach Bremgarten und ins Kelleramt.
Genau.
◆ Wie können sich Spitex und stationäre Pflegeinstitutionen gegenseitig unterstützen?
Im Reusspark kann das Tages- und Nachtzentrum beispielsweise Menschen entlasten, die pflegebedürftige Angehörige zu Hause pflegen.
◆ Konkret?
Dieses Angebot schliesst in einer Übergangsphase eine Lücke – während der Pflege zu Hause und vor einem Heimeintritt. Es entlastet pflegende Angehörige. Pflegebedürftige Menschen können die Angehörigen kurzfristig und flexibel für einzelne Stunden, über Nacht, einige Tage oder auch wenige Wochen im Tages- und Nachtzentrum in Obhut geben.
◆ In solchen Phasen unterstützen Sie?
Ja. Es ist wichtig, Brücken zu schlagen. Ich kenne Angebote und Optionen. Diese Angebote sollen aber auch die Fachleute, die Mitarbeitenden der Spitex, die Hausärztinnen und Hausärzte kennen, um Empfehlungen abzugeben. Das kann helfen, das System länger zu stützen und sich zu erholen, ohne zu eskalieren.
◆ Grenzen sollen fliessender werden?
Genau. Ziel ist, netzwerkübergreifend viel stärker zusammen zu arbeiten mit dem Fokus: Was dient den Klientinnen und Klienten am meisten?
◆ Haben Sie Spitex-Erfahrungen?
Meine praktischen Erfahrungen liegen so weit zurück, dass sie kaum nennenswert sind: In jungen Jahren arbeitete ich während meiner Ausbildung kurze Zeit für die Spitex. Später war ich im Vorstand der Spitex Rohrdorferberg. Den grössten Einblick erhielt ich aber über die Zusammenarbeit mit der Spitex im Reusspark. Weil meine Eltern eines Tages die Unterstützung der Spitex benötigten, wurde ich ausserdem als Angehörige mit der Arbeit der ambulanten Versorgung konfrontiert. – Ich selbst wollte früh in die Langzeitpflege. Das Gesundheitswesen ist so vielseitig... Je länger, je mehr erlebe ich das als besonders attraktiv. Durchaus auch betreffend Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
◆ Je länger, je mehr?
Die Palette an Möglichkeiten ist breit wie kaum in einem anderen Beruf.
◆ Zum Beispiel?
Der Einstieg erfolgt heute über eine dreijährige Ausbildung. Danach kann man eine Höhere Fachschule absolvieren und sich spezialisieren. Zum Beispiel im Operationssaal, in der Psychiatrie, in der Wundversorgung, in der palliativen Pflege ... Eine enorme Palette mit vielen Fach- und Führungsmöglichkeiten. Auch im pädagogischen Bereich, weil Menschen in Ausbildung begleitet werden müssen.
◆ Da schwingt viel Begeisterung mit.
Es ist aus meiner Sicht ein Wahnsinnsberuf. Es gibt negative Seiten, aber sie erhalten zu viel Gewicht.
◆ Sie freuen sich auf die neue Stelle. Wo sehen Sie Herausforderungen?
Ich habe Respekt vor der Aufgabe. Rund 100 Mitarbeitende erhalten eine neue Geschäftsführung. Diese Menschen verdienen, dass ich mich ihrer annehme, mit meinem ganzen Wissen und mit allem Feingefühl. Wichtig ist etwa die Frage: Wo steht der Betrieb nach der Fusionierung, die auf den 1. Januar 2022 umgesetzt wurde? Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Die Fusion war erwünscht, beispielsweise um Angebote erweitern zu können. Jetzt geht es aber um die Balance. Wie viel Vereinigung muss sein? Wie viel Individualität bleibt möglich? Das erfordert Beständigkeit in der Geschäftsleitung.
◆ Sie haben bewiesen, dass Sie ausdauernd sind. Sie waren im Reusspark 18 Jahre lang in der Geschäftsleitung.
Ja, diese Beständigkeit bringe ich hoffentlich mit. Jetzt kommen bis zur Pensionierung die nächsten zwölf Jahre.
◆ Weitere Herausforderungen?
Es wird eine riesige Herausforderung, Personelles zu bewältigen, eine gute Arbeitgeberin zu sein. Die Menschen sollen ihrer Arbeit gerne nachgehen. Es müssen genügend personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Das dürfte eine der grössten Herausforderungen werden.
◆ Keine einfache Aufgabe ...
Nein. Aber die Spitex kennt sehr selbstständiges Arbeiten. Diese Selbstständigkeit erleben viele als überaus attraktiv.
◆ Was hat Ihnen im Reusspark besonders gefallen?
Der Reusspark ist ein sehr innovativer Betrieb, hat Platz und den Mut, neue Ideen umzusetzen. Etwa bei den spezialisierten Bereichen wie denjenigen mit Leistungsauftrag in Gerontopsychiatrie oder für an Demenz erkrankte Menschen ...
◆ ... eine sehr eindrückliche Abteilung.
Ja, aber wir riskierten mit diesen Abteilungen auch zum «Demenzhaus» gestempelt zu werden. Was tun, wenn manche das Haus nicht mehr wählen, weil sie sich nicht mehr angesprochen fühlen? Dieses Risiko bestand. Letztlich hat der Reusspark aber immer Raum für alle gelassen, auch für verhaltensauffälligere Menschen. Aus meiner Sicht ist das einer der Erfolgsfaktoren dieser Institution.
◆ Ihre persönlichen Beiträge?
Mir waren Entwicklungen immer wichtig: Neue Ideen, Veränderungen sollten auch im Pflegebereich Platz haben. Mitarbeitende brauchen Gestaltungsspielraum. Sie sollen Ideen einfliessen lassen können, sie sollen Autonomie erhalten bei gleichzeitiger Beständigkeit. Davon profitieren auch die Bewohnenden.
◆ Das heisst?
Es braucht das richtige Mass an Neuerungen und Beständigkeit. Neuerungen brauchen im Reusspark mit rund 450 Mitarbeitenden Zeit, bis sie an der Basis ankommen. Gleichzeitig müssen wir pflegen, was wir weiterführen wollen.
◆ Was werden Sie vermissen?
Sehr viel! Vermissen werde ich die Menschen, sehr viele Beziehungen, die mich mit dem Haus verbinden. Arbeitsbeziehungen, Beziehungen zu Bewohnerinnen und Bewohnern, auch zu Angehörigen. Beim Gang durch das Haus grüssten wir einander, redeten miteinander. Das wird mir sehr fehlen. Auch das schöne Areal. Mein neuer Arbeitsort wird Bremgarten sein. Dort liegt der Hauptsitz der Spitex.
◆ Therapiehund Merlin geht mit?
Natürlich. Merlin kommt mit.
Merlin liegt unter Monica Heinzers Schreibtisch in seiner Box. Er spitzt die Ohren, hebt den schwarzen Kopf, als er seinen Namen hört. Auch er wird im Reusspark fehlen. In Bremgarten wird der grosse Zauberer aber rasch neue Herzen erobern.
Heidi Hess
Monica Heinzer
Seit 18 Jahren ist Monica Heinzer Leiterin Pflege und Betreuung im Reusspark. Gleichzeitig ist sie auch Mitglied der Geschäftsleitung. Zuvor war sie Pflegedienstleiterin im Pflegezentrum des Spitals Limmattal. Heinzer bildete sich nach ihrer Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau kontinuierlich weiter. Unter anderem absolvierte sie ein CAS Gerontologie an der Universität Zürich sowie ein MAS Management Health Care Institutions an der Kaleidos Fachhochschule. Sie ist ausserdem im Vorstand der Alzheimervereinigung Aargau. (hhs)


