Kurze Wege oder eine Pause beim Kiesabbau?
24.02.2023 BirmenstorfKurz vor der Abstimmung am 12. März an der Urne tobt der Abstimmungskampf rund um die geplante Kiesgrube Grosszelg
Befürworterinnen und Gegner werfen alle Argumente in die Waagschale: Es geht um Geld, Schwerverkehr, Umweltschutz und auch um Vertrauen. Und die SVP Birmenstorf ...
Kurz vor der Abstimmung am 12. März an der Urne tobt der Abstimmungskampf rund um die geplante Kiesgrube Grosszelg
Befürworterinnen und Gegner werfen alle Argumente in die Waagschale: Es geht um Geld, Schwerverkehr, Umweltschutz und auch um Vertrauen. Und die SVP Birmenstorf ordnet ein und bittet alle zur Abstimmung.
Kurz vor der Abstimmung am 12. März bleibt die Diskussion rund um die geplante neue Kiesgrube im Grosszelg äusserst leidenschaftlich: Drei Kiesunternehmen, eines davon ist die Gebenstorfer Firma Merz Baustoffe AG, wollen auf 14 Hektare Land neben der Autobahn und an der Fislisbacherstrasse 20 Jahre lang rund 2,5 Millionen Kubikmeter Kies abbauen. Der Grosse Rat hatte dieses Gebiet, wo auf den Feldern im Frühling Erdbeeren wachsen und im Winter Nüsslisalat, 2019 im kantonalen Richtplan als Kiesabbaugebiet festgesetzt.
Das letzte Wort zur Teiländerung Nutzungsplanung haben hingegen die Birmenstorferinnen und Birmenstorfer. Und die sprachen sich an der Winter-Gmeind im November 2022 – bei sehr hoher Beteiligung – mit 185 Neinzu 152 Ja-Stimmen gegen das Projekt Kiesgrube Grosszelg aus. Die Kiesabbau-Befürworter ergriffen daraufhin erfolgreich das Referendum. Nun kommt es am 12. März zur zweiten Abstimmung. Dieses Mal an der Urne. Der Abstimmungskampf wirft hohe Wellen: Im Dorf stehen Plakate von Befürworterinnen und Gegnern. Die Gegnerinnen und Gegner – es handelt sich um die Interessengemeinschaft «Neue Kiesgrube Nein» – verteilen seit Frühling 2022 fleissig Flugblätter in die Haushalte, jüngst die Nummern 4 und 5. Flugblatt Nummer 4 sorgte für Wirbel. Zahlen zu Lastwagenfahrten, Finanzen, Kies-Export, Aushub-Import und zu weiteren Deponien stehen im Zentrum, auch die Frage nach «verlässlichen Partnern» oder dem Umweltschutz. Dieses Flugblatt alarmierte die Befürworter der Kiesgrube, respektive das Komitee «Ja zu einem ökologischen Kiesabbau».
«Hört auf mit falschen Zahlen!»
Es verfasste vergangene Woche einen offenen Brief und fordert das Nein-Komitee auf: «Hört bitte sofort auf mit falschen Zahlen zum Projekt Grosszelg!» Namens der Befürworter schreibt Clemens A. Zehnder, «wissentlich und vorsätzlich» werde mit falschen Zahlen operiert. «Dies ist perfide und unfair.» Bereits zu einem frühen Zeitpunkt hätten Gegnerinnen und Gegner die Anzahl Lastwagenfahrten durchs Dorf angezweifelt, später auch die Erträge, die als Entschädigung beim Kiesabbau in die Gemeindekasse fliessen würden. Diese Einnahmen würden «dringend anstehende Investitionen» ermöglichen. Es scheine die Gegner nicht zu kümmern, dass alle Zahlen von kantonalen Behörden überprüft und vom Gemeinderat nachgerechnet worden seien. Mit diesem Vorgehen werde die Autorität des Kantons, der einen Umweltverträglichkeitsbericht zum Projekt verfasst hatte, untergraben, heisst es im offenen Brief. Ausserdem werde dem Gemeinderat unterstellt, dass er in den Abstimmungsunterlagen falsche Informationen vermittle. «Der Kiesabbau Grosszelg verursacht 21 zusätzliche Fahrten durchs Dorf und nicht, wie suggeriert, 204 Fahrten», betont das Pro-Komitee gegen Ende seines Briefes. «Neu» seien einzig die Fahrten auf der durch eine Lärmschutzwand geschützten, knapp 200 Meter langen Strecke vom Gebiet Grosszelg zum Kreisel am Ortsausgang. «Statt Rohstoff von weit her durch Birmenstorf ins Kieswerk in Gebenstorf zu transportieren, bleiben die Wege kurz.» Das sei ökonomisch und ökologisch sinnvoll, so die Befürworter. – Kanton und Gemeinde rechnen mit 96 täglichen Ortsdurchfahrten von der Kiesgrube Grosszelg über den Kreisel Chrüz bis Gebenstorf, 21 mehr als bisher. Hinzu kommen 108 weitere Lastwagenfahrten, ebenfalls über den Kreisel Chrüz, allerdings in Richtung Autobahn.
Das «Angstmacher»-Argument»
Tatsächlich führen die Gegner der Kiesgrube die Lastwagenfahrten als erstes Argument auf ihrem Flugblatt ins Feld: «204 Lastwagen mehr pro Tag sind zuviel!» Der Verkehr bringe dem Dorf Stau und Verspätungen, Lärm, Feinstaub, Erschütterungen sowie gefährliche Ereignisse an Fussgängerstreifen und auf Radwegen. Erst ab 2030, wenn sämtliche Auffüllarbeiten an der bestehenden Kiesgrube Niderhard beendet seien, zeichne sich eine Entspannung ab, begründen sie. «Dann kehrt im Dorf mehr Ruhe ein und es gibt weniger Verkehr», erklärt auf Nachfrage Patrick Zehnder, Vertreter des Nein-Komitees. Dass die Lastwagen der Firma Merz aus Gebenstorf, ohnehin durchs Dorf rollen – also auch ohne die neue Kiesgrube Grosszelg, sei eine Behauptung. Es handle sich vor allem um ein «Angstmacher-Argument» der Firma Merz, meint Zehnder. Gegnerinnen und Gegner plädieren für eine Pause, umso mehr als Birmenstorf die Nachteile der Kiesausbeutung seit 70 Jahren trage. Um der Transparenz willen hätten sie auch gerne bereits vor der letzten Gemeindeversammlung vom «Verkauf des Betonwerks der Firma Merz in Gebenstorf (Merz Baustoff AG) an das Gemeinschaftsunternehmen Beton AG Baden-Brugg» erfahren. Laut Flugbatt wurde darüber erst eine Woche nach der «denkwürdigen Gemeindeversammlung» informiert.
Vorwürfe muss sich auch der Gemeinderat gefallen lassen. Er informiere nicht objektiv: «Vieles wird verschwiegen ...» Zahlen und Argumente der Kiesfirmen würden bedenkenlos übernommen, kritisieren die Gegner. Früh habe der Gemeinderat klar gemacht, dass mit den Einnahmen Schulden abgebaut werden sollen. Das Nein-Komitee befürchtet deshalb, dass finanzielle Mittel für zukunftsträchtige Projekte fehlten. Schliesslich fragen die Kiesgruben-Gegner, wem der Gemeinderat ein «verlässlicher Partner» sein möchte. Im Stettfeld plane das gleiche Kieskonsortium eine weitere Deponie. Entsprechende Informationen seien ihnen von Landeigentümern zugetragen worden, sagt Zehnder. Eine weitere Deponie soll auch im Auboden entstehen. Dort hatte das Unternehmen Merz zunächst Kies abgebaut, inzwischen entwickelte sich der Auboden zu einem preisgekrönten Biotop.
«Gemeinderat verschweigt nichts»
Auf Anfrage begegnet Vizeammann Urs Rothlin den Vorwürfen: «Es stimmt nicht, dass der Gemeinderat etwas verschweigt.» Finanzielle Aspekte seien an der letzten Einwohnergemeindeversammlung ausführlich kommuniziert worden. Zwar würden Zahlen wie die Steuereinnahmen auf Annahmen basieren. Es handle sich aber um «realistische Grössen», berechnet von Steuerverwaltung und Finanzkommission. Tatsächlich will die Gemeinde Schulden abbauen. Weiter geführt werde aber die Sanierung der Quartierstrassen, eine nach der anderen; der «rote Platz» soll saniert und das Parkplatzkonzept Mehrzweckhalle überarbeitet werden. «Dank zusätzlicher Einnahmen», meint Vizeammann Rothlin, «wird das möglich». Was die Deponien im Auboden und im Stettfeld betrifft, so sei vor über 10 Jahren in der Region Baden-Brugg eine Standortevaluation für eine Aushubdeponie durchgeführt worden. Geprüft wurde damals auch der Standort Stettfeld. Der Gemeinderat habe, «Stand heute», hingegen weder Informationen zu einer geplanten Deponie, noch Kenntnis von Verhandlungen mit Grundeigentümern im Stettfeld. Und die aktuellen Biotope im Auboden seien entstanden als zu wenig Aushubmaterial für das ehemalige Kiesabbaugebiet existierte. Nun aber soll etappenweise aufgefüllt und ökologisch wertvolle Flächen sollen vergrössert werden. «Als erste Massnahme», sagt Urs Rothlin, «wurde bereits der ‹Parkplatz› beim Schächli aufgehoben.»
Firma Merz will «richtig stellen»
Das bestätigt Thomas Merz, Inhaber und Leiter Bau der Firma Merz, die mit den Kiesunternehmen Richi, Weiningen und Knecht, Brugg die neue Kiesgrube betreiben will. Die aus seiner Sicht «falschen Aussagen, unhaltbaren Behauptungen oder sogar rufschädigenden Unterstellungen» des Nein-Komitees beantwortet er mit «Fakten statt Polemik». Er möchte «richtig stellen». Beispielsweise bei der Deponie «Auboden», wo rund 190 000 Kubikmeter sauberes Material das ursprüngliche Landschaftsbild wieder herstellen sollen. Es werde nicht zerstört, sondern erhalten und neu geschaffen. Das Projekt «ökologische Aufwertung Auboden» sei 2016 öffentlich aufgelegen, 2018 bewilligt worden. Seither werde es durch Beschwerden blockiert. Der Standort Stettfeld werde seit 2016 nicht mehr weiter verfolgt, erklärt Merz und stehe weder heute noch in naher Zukunft auf der kantonalen Prioritätenliste, es gebe auch keine Verhandlungen mit Grundeigentümern im Stettfeld.
Beim vom Nein-Komitee bezeichneten «Verkauf an das Gemeinschaftsunternehmen Beton AG Baden-Brugg», handle es sich um eine 25-Prozent-Beteiligung seines Unternehmens an der Beton AG Baden-Brugg in der Absicht, gemeinsam Beton zu produzieren, stellt Thomas Merz richtig. Diese Information sei vor der Gemeindeversammlung weder relevant noch kommunizierbar gewesen, erklärt er.
Die SVP bittet zur Abstimmung
Von den politischen Parteien äusserte sich bislang einzig die SVP Birmenstorf – sie verzichtet hingegen auf eine Abstimmungsempfehlung.
Stattdessen listet sie die wichtigsten Argumente auf und stellt ihnen die Merkmale «vertraglich garantiert» oder «unverbindliche Schätzung» zur Seite. Die SVP beruft sich auf Veröffentlichungen der Gemeinde sowie Aussagen des Gemeinderates an der Gemeindeversammlung. Zu den «unverbindlichen Schätzungen» zählt sie die 96 täglichen Lastwagen-Ortsdurchfahrten genauso wie die 108 Fahrten Richtung Autobahn über den Kreisel Chrüz. Als «unverbindliche Schätzung» bezeichnet sie auch das angekündigte Ausweichen der Merz Baustoffe AG für den Kiesabbau ins Limmattal oder gar ins Elsass sowie den Abbauzeitraum von 17 Jahren. «Vertraglich garantiert» seien hingegen Pauschalen an Strassenreinigungen und Naturschutzprojekte, auch jährliche Akontozahlungen an die Gemeinde, die Betriebszeiten oder das Abbauvolumen. «Bitte nutzen Sie die Chance und geben Ihre Stimme und damit Ihre Meinung zum Kiesabbau ab», plädiert die SVP.
Heidi Hess



