Wasser darf weiterhin nicht verschwendet werden
30.06.2023 Niederwil, Freiamt, Serie im ReussboteNorbert Ender, Verwaltungsratspräsident IKA Wasser 2035, im Interview mit dem «Reussbote» zum Thema Wasser
Trinkwasser ist ein wertvolles Gut. Wegen des Klimawandels wird es auch in unserer Region knapp. Dank «Wasser 2035» werden die an die Ringleitung ...
Norbert Ender, Verwaltungsratspräsident IKA Wasser 2035, im Interview mit dem «Reussbote» zum Thema Wasser
Trinkwasser ist ein wertvolles Gut. Wegen des Klimawandels wird es auch in unserer Region knapp. Dank «Wasser 2035» werden die an die Ringleitung angeschlossenen Gemeinden auch in Zukunft über genügend Wasser verfügen.
Damit Gemeinden im Bünz- und Reusstal auch in Zukunft über genügend Trinkwasser verfügen, wird eine Ringleitung gebaut. 19 Gemeinden, der Regionale Wasserverbund Mutschellen sowie die IB Wohlen AG haben sich in einer interkommunalen Anstalt (IKA) zusammengeschlossen. Die Versorgung ist durch den Verbund auf Jahrzehnte gesichert. Das Projekt «Wasser 2035» hat im Kanton eine Vorreiterrolle. Der «Reussbote» unterhielt sich mit Norbert Ender, Verwaltungsratspräsident der IKA.
◆ Weshalb engagieren Sie sich für die Interkommunale Anstalt?
Es gibt drei Hauptgründe für mein Engagement für «Wasser 2035».
1. Ich bin hier im Reusstal geboren und ich fühle mich mit allen beteiligten Gemeinden verbunden. Kinder und Enkelkinder leben hier. Das motiviert mich, einen Beitrag zu diesem Generationenprojekt zu leisten.
2. Für Niederwil ist das Projekt sehr wichtig – das wissen wir schon lange. Die Trockenperioden der letzten zwei Jahre haben dies deutlich gezeigt. Der Grundwasserspiegel hat sich im Winter nicht erholt. Die Gemeinde musste bereits im Frühjahr Sparmassnahmen verhängen. Von daher ist es nachvollziehbar, dass sich die Gemeinde Niederwil engagiert.
3. Mit meiner Ausbildung als Ingenieur und meinen beruflichen Erfahrungen beim Realisieren von Grossprojekten fasziniert mich das Projekt persönlich.
◆ Wie können Sie das Amt als VR-Präsident und als Gemeindeammann unter einen Hut bringen?
Ich bin in dieser Beziehung privilegiert, da ich pensioniert bin.
◆ Der Anstoss für «Wasser 2035» kam bereits 2013. Fischbach-Göslikon und Niederwil stellten damals eine Anfrage an Wohlen, ob die ibw ihnen künftig Wasser liefern könne. Wie lautete die Antwort?
Für die ibw hätte der zusätzliche Wasserliefervertrag zur Folge gehabt, dass die konzessionierte Bezugsmenge der Grundwasserfassung bei Niederlenz hätte erhöht werden müssen. Darum beschloss die ibw, die Thematik grundsätzlich anzugehen. Peter Lehmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung der ibw, brachte darauf die Idee einer Ringleitung ins Spiel. Konzipiert als Ergänzung zur bereits bestehenden Transportleitung durch das Bünztal mit einer rund 19 Kilometer langen Leitung durch das Reusstal.
◆ Wie viel Überzeugung brauchte es, um andere Gemeinden mit ins Boot zu holen?
Die Verantwortlichen spürten von Anfang an viel Wohlwollen. Die grösste Herausforderung war, einen Weg für die Zusammenarbeit zu finden, ohne dass die Partner ihre Autonomie einbüssen. Die Trinkwasserversorgung ist in jeder Gemeinde ein Objekt von zentraler Bedeutung. Wir hatten daher auch grossen Respekt vor dem politischen Prozess.
◆ Was sorgte für die Akzeptanz bei der Bevölkerung?
Ausschlaggebend für die breite Akzeptanz in der Bevölkerung waren folgende Gründe:
• Wir fanden eine Lösung, ohne dass die beteiligten Wasserversorgungen ihr «Tafelsilber» verkaufen mussten. Alle Anlagen und Leitungen bleiben auch künftig im Besitz der einzelnen Wasserversorgungen.
• Dass seit dem 1. Januar 2019 auch im Kanton Aargau die Gründung einer sogenannten interkommunalen Anstalt (IKA) möglich ist, hat uns zweifellos in die Hände gespielt. Denn ursprünglich war die Gründung einer Aktiengesellschaft geplant; diese Rechtsform ist für viele negativ behaftet und hätte vermutlich einige Personen davon abgeschreckt.
• Bei der Besetzung des Verwaltungsrats und des Aufsichtsausschusses wurde auf eine ausgewogene Vertretung der Mitglieder geachtet. Über die Delegiertenversammlung können alle Mitglieder direkt auf die laufenden Geschäfte Einfluss nehmen.
◆ Welche Rolle spielte der Hitzesommer 2018 mit der damit verbundenen Wasserknappheit bei der Entscheidungsfindung?
Der Hitzesommer 2018 war ja nur einer von vielen Auswirkungen, die uns die Klimaentwicklung vor Augen führt. 2022 war der zweitwärmste Sommer seit Messbeginn im Jahr 1864. Es war aber bereits vorher bekannt, dass Phasen mit Hitze und Trockenheit in der Zukunft zunehmen.
Der Hitzesommer war nicht der entscheidende Faktor. Alle beteiligten Partner wissen schon länger, dass die Zeiten vorbei sind, in denen jede Gemeinde bei der Wasserversorgung für sich alleine schauen kann. Eine überregionale Zusammenarbeit ist sinnvoll und nutzbringend.
◆ Was sind die Vorteile des Wasserverbunds?
Die Mitglieder bekommen einen Anschluss an das Grundwasservorkommen im Gebiet Länzert (nordwestlich von Lenzburg) – und damit an die mächtigen Grundwasserströme des Aare- und Seetals. Die Versorgung der Bevölkerung im Bünz- und im Reusstal mit Trinkwasser wird somit auf Jahrzehnte hinaus gesichert. Dies nicht zuletzt auch im Hinblick auf das prognostizierte Bevölkerungswachstum. Laut Prognosen des Kantons wächst die Bevölkerungszahl im Bünz- und im Reusstal von heute circa 77 000 bis 2050 auf rund 101 000 Personen. Das bedeutet eine Zunahme von rund 30 Prozent.
◆ Vor einem Jahr wurde die IKA in Niederwil gegründet. Was bedeutete die Gründung für die Wasserversorgungssicherheit der Region?
Mit der Gründung wurde die Vision «Wasser 2035» nach neun Jahren Realität. Die Bevölkerung in den angeschlossenen Gemeinden weiss nun, dass etwas geht und künftig auch während Hitzeperioden genügend Trinkwasser vorhanden ist. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass dies natürlich nicht bedeutet, dass künftig sorglos mit Wasser umgegangen werden kann. Wasser ist und bleibt ein kostbarer Rohstoff, der nicht verschwendet werden darf.
◆ Was ist der Vorteil des Verbundes für die Gemeinden?
Der Verbund bringt jeder Gemeinde Versorgungssicherheit für Spitzenzeiten. Es ist eine starke und verlässliche Partnerschaft, von der man sicher auch auf anderen Ebenen profitieren wird.
◆ Was sind die Vorteile für Niederwil?
Die gleichen Vorteile gelten auch für Niederwil – nur in besonderem Masse. Die Wasserversorgung von Niederwil ist immer noch eine Insel, da wir und Fischbach-Göslikon das Wasser nur von einer Quelle beziehen. Durch «Wasser 2035» gewinnen wir Versorgungssicherheit. Zudem können wir unser eigenes Wasservorkommen – es ist stark von den Niederschlägen im Winter abhängig – entlasten und ergänzen. Sparmassnahmen, wie wir sie in den letzten zwei Jahren treffen mussten, sind dann nicht mehr notwendig.
◆ Können sich weitere Gemeinden anschliessen?
Ja. Wir sind offen für weitere Partner – und es finden bereits Gespräche statt. Solange keine entsprechenden Verträge abgeschlossen sind, wird nicht publiziert, um welche Gemeinden es sich handelt.
◆ Wo führt die Ringleitung durch?
Die ungefähre Leitungsführung kann der Übersichtskarte entnommen werden. Die Karte entspricht jedoch dem Planungsstand von 2021. So sind die Gemeinden Brunegg und Lenzburg nicht Teil von «Wasser 2035». Die exakte Linienführung wird derzeit geplant. Diese ist aber erst angelaufen.
◆ Weshalb können die angeschlossenen Gemeinden ohne Sorgen in die Zukunft schauen?
Das Grundwasservorkommen im Gebiet Länzert ist sehr ergiebig – Pumpversuche zeigten, dass das Potenzial noch nicht ausgeschöpft ist. Auch während längerer Trockenperioden hat sich das Grundwasservorkommen als sehr stabil erwiesen. Bis 2035 kann der zusätzliche Wasserbedarf im Reuss- und im Bünztal mit einer Leistungssteigerung dieses Pumpwerks abgedeckt werden. Für den längerfristigen Zeithorizont ist geplant, ein weiteres Grundwasserpumpwerk im Gebiet zu bauen. Wir wissen aber, dass auch weitere Gemeinden im Umfeld dieses Gebiets zusätzlichen Wasserbedarf haben. Letztlich wird der Kanton die Nutzung des Areals koordinieren.
◆ Wird das Wasser für die Gemeinden bezahlbar bleiben?
Auf jeden Fall. Dank der Zusammenarbeit ergeben sich Synergien, etwa bei künftigen Investitionen. Natürlich hat die Versorgungssicherheit auch ihren Preis. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einzelnen Gemeinden das Wasser teurer wird. Solche Preiserhöhungen wären ohnehin unumgänglich gewesen. Hätte sich eine Gemeinde nicht angeschlossen, müsste sie andere Wege finden. Und diese Lösungen wären auch nicht gratis gewesen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass Trinkwasser nach wie vor ein sehr günstiges Lebensmittel ist. Für 1000 Liter Trinkwasser, frei ins Haus geliefert, zahlt man weit weniger als für einen Liter Mineralwasser im Restaurant.
◆ Wann wird die Ringleitung in Betrieb genommen?
Der Fahrplan sieht vor, dass das Vorprojekt bis Ende 2024 fertiggestellt wird. Im Vorprojekt werden Variantenentscheide gefällt und erste Abklärungen mit den Bewilligungsbehörden vorgenommen. Das anschliessende Planungsprojekt wird weitere zwei Jahre in Anspruch nehmen; danach erfolgt das Bewilligungsverfahren. Wenn alles ideal läuft, können erste Teilstrecken ab 2028 realisiert werden – die vollständige Ringleitung dürfte ab 2030/31 in Betrieb gehen. Also weit früher, als es der Name «Wasser 2035» suggeriert.
◆ Was sind die Herausforderungen?
Eine grosse Herausforderung ist seit letztem Jahr gemeistert – dieser Zusammenarbeitsvertrag von 21 Gemeinden ist keine Selbstverständlichkeit. Bei der Realisierung ist nun sicher der zeitliche Faktor eine Herausforderung – wir wollen den Ring möglichst rasch in Betrieb nehmen. Von der Leitungsführung sind sehr viele Grundeigentümer betroffen und für die Bewilligungsverfahren sind zahlreiche Gemeinden zuständig. Da braucht es eine gute Koordination und Kommunikation.
◆ «Wasser 2035» ist ein Pionierprojekt im Kanton. Gibt es bereits Folgeprojekte?
Der Kanton Aargau will mit dem Projekt PTS (Planung Trinkwasser-Versorgungssicherheit) im ganzen Kanton die Bildung von Wasserversorgungsregionen fördern. Das ist exakt das, was die Gemeinden im Reuss- und im Bünztal mit «Wasser 2035» bereits machen. Die Ziele sind dieselben.
◆ Wird ein Wasserverbund im Zeitalter der Klimaerwärmung der einzig gangbare Weg sein?
Wasserregionen und Wasserverbünde sind sicher der richtige Weg in die Zukunft. Ich bin überzeugt, dass dieser auch kantonsübergreifend stattfinden muss. Für uns ist ein Verbund mit dem Versorgungsgebiet des Zürichsee eine weitere Option.
Debora Gattlen


