Erziehung bei ADHS
31.05.2024 Gesundheit, GewerbeWie Du deine Kinder erziehst – und ganz nebenbei auch dich selbst!
Frage von Nicole und Thomas
Unser Sohn geht in die 1. Klasse und hat die Diagnose ADHS. Unsere Tochter ist in der 3. Klasse und hat eine Rechenschwäche. Unser jüngster Sohn, der noch in ...
Wie Du deine Kinder erziehst – und ganz nebenbei auch dich selbst!
Frage von Nicole und Thomas
Unser Sohn geht in die 1. Klasse und hat die Diagnose ADHS. Unsere Tochter ist in der 3. Klasse und hat eine Rechenschwäche. Unser jüngster Sohn, der noch in den Kindergarten geht, macht jetzt jeden Blödsinn seinem Bruder nach. Unser Alltag ist sehr anstrengend. Es ist laut, Regeln werden kaum eingehalten. Der Älteste bringt mit seiner Impulsivität und Hyperaktivität alles und jeden durcheinander. Jeder Tag kostet so viel Energie. Niemand weiss, ob die Tage gut werden oder im Chaos enden. Thomas kommt bei der Erziehungsarbeit oft auch an seine Grenzen. Er wird impulsiv und laut. Es dauert nicht mehr lange, dann ziehe ich von zu Hause aus, so anstrengend ist der Alltag. Was können wir tun, um das Blatt noch zu wenden, ohne dass unsere Familie zerbricht?
Antwort
Hallo zusammen. Die Schwierigkeiten eines Kindes mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit oder ohne Hyperaktivität (ADS oder ADHS) liegen vor allem in der Entwicklung des Gehirns. Der Frontallappen, eine Art Zentrale im Gehirn für höhere geistige Aktivitäten, für Selbstkontrolle und Handlungsplanung, ist in seiner Entwicklung verzögert oder zu wenig aktiviert. Bei ADHS ist das «Gleichgewicht» der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin verändert. Kurz gesagt: Das Hirn mit ADHS funktioniert anders, als ein Gehirn ohne.
Viele Anzeichen sprechen für ein ADHS. Für eine gesicherte Diagnose müssen mindestens fünf der folgenden Punkte zutreffen, auch wenn sich das ADHS sehr individuell zeigt. Kinder (und Erwachsene) zeigen Ausdauer- und Organisationsprobleme, scheinen nicht zuzuhören, verlieren oft Dinge, reden viel, können nicht warten, sind ungeduldig, stören andere, sind leicht ablenkbar, vergesslich, vermeiden Aufgaben, können schlecht verlieren, Impulse schlecht regulieren, reagieren sehr emotional und brauchen viel Bewegung. Oftmals gesellen sich zu diesem Bild auch noch «Teilleistungsstörungen» wie Legasthenie oder eine Rechenstörung. So sieht also die mögliche Zusammensetzung dieses anstrengenden Cocktails aus, von dem Du mir berichtest.
Das Syndrom wird vererbt und viele Eltern von ADHS-Kindern leiden selbst unter der gleichen Problematik. Betroffene Kinder zeigen ADHS schon als Baby. Erst in der Schule wird alles dann augenscheinlich und kommt verstärkt zum Tragen. Nun zeigen sich die Defizite gleich doppelt. Bei den Eltern – und bei den Kindern. Den Alltag zu strukturieren und zu bewältigen fällt schwer. Viel der Haushalt- und Erziehungsarbeit wird aufgeschoben, so lange, bis alles zu viel wird. Geregelte Zeit, Struktur und Rituale, alles was nun wichtig wäre, ist schwierig einzuhalten.
Gut, ist das ADHS bereits abgeklärt. Das ist ein erster Schritt. Sich mit der «Funktionsweise» bei ADHS aktiv und vertieft auseinanderzusetzen, ist mein nächster Rat. Hinschauen und verstehen, was da passiert, ist das A und O. Wenn ihr als Eltern wisst, womit ihr es zu tun habt, dann können passende Strategien für euch und die Erziehung entwickelt und eingeübt werden. «Wegtherapieren» lässt sich ein ADHS leider nicht, aber der Umgang damit lässt sich erlernen. Hat ein Kind ein sehr starkes ADHS, dann sind auch neue Strategien oftmals von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ist der Leidensdruck so gross, dass die Familie zu zerbrechen droht, dann sollte mit dem Hausarzt oder einer Psychiaterin über den Einsatz regulierender Medikamente gesprochen werden, um die Basis für eine Veränderung zu schaffen.
In Familien in welchen ADHS zu Hause ist, besprechen wir zunächst den Tagesablauf. Wir entwickeln einen möglichst genauen Plan. Dieser wird dann gut sichtbar aufgehängt. Zudem besorgen wir einen «Timer», der zeigt wann etwas bald zu Ende ist oder wann etwas Neues anbricht. Rituale erleichtern den Tagesablauf enorm. Wichtig: Essen immer um die gleiche Zeit. Danach wird miteinander aufgeräumt, usw. Auch wenn das nicht immer klappt: Keine Drohungen und Strafen einsetzen, sondern klare Strukturen und logische Konsequenzen anwenden, denn sonst leidet eure Beziehung.
Kreisende Gedanken lassen betroffene Kinder auch oft schlecht einschlafen. Bei Mädchen zeigt sich das Defizit äusserlich oft ruhiger, dennoch sind sie innerlich angespannt. Was hier gut hilft, sind Achtsamkeitsübungen und bewusste ruhige Zeiten, als auch feste Strukturen. Die Kinder brauchen eure Hilfe beim Erlernen der wichtigen Strategien für die Alltagsbewältigung. Dies am Besten mit viel Praxisbezug und unbedingt handelnd, nicht theoretisch. Geht viel in die Natur und treibt Sport. Sprecht bitte auch mit der Lehrperson über eure Schwierigkeiten in der Erziehung und erarbeitet mit ihr zusammen Strategien, welche eure Kids in der Schule, als auch zu Hause unterstützen. Schämt euch auf keinen Fall, Hilfe anzunehmen. Zur Unterstützung in der Erziehung, für das Strukturieren des Alltages oder beim Einführen von neuen Strategien mache ich auch regelmässig Hausbesuche.
Glücklicherweise gibt es auch eine Sonnenseite. Kinder mit ADHS verfügen über viele Begabungen, die nicht vergessen werden dürfen. Grosse Fantasie und Ideenreichtum, gepaart mit Feinfühligkeit, Begeisterungsfähigkeit und starker Empathie können dazugehören. Der Selbstwert dieser Kinder sollte immer und immer wieder gestärkt werden, denn sie geben ihr Bestes, auch wenn es oft nicht danach aussieht. Sonst besteht die Gefahr, dass der Selbstwert zu stark absinkt. Feiert also auch kleine Erfolge und schaut immer wieder auf die vorhandenen Stärken eurer Kinder. Nun noch zu euch selbst: Pflegt auch euch, eure Beziehung und eure Ehe gut. Bucht regelmässig eine Nanny und nehmt euch Zeit, nur für euch.
Viel Erfolg!
Eure Iris Selby
NEU – «Fokusgruppe Erziehung»
Regelmässig treffen sich gleichgesinnte Eltern in einer kleinen Gruppe zum Austausch von Fragen und Erlebnissen aus dem Erziehungsalltag. Gemeinsam finden wir Antworten und profitieren gegenseitig von unseren Erfahrungen.
Ort: Mellingen, 1x im Monat, Dienstag 19 – 21 Uhr.
Nächstes Mal am Dienstag, 25. Juni 2024
Die Kosten pro Person, pro Treffen betragen CHF 40.–
Bei Interesse an der Fokusgruppe bitte E-Mail an mail@irisselby.ch