Ein Mann und seine Vision
16.07.2024 Sport, FussballLuigi Ponte, Präsident des Aargauer Fussballverbands, über Vergangenheit und Zukunft des Amateurfussballs
Nachrücken, Zurücktreten, Herumschieben: Immer wieder wird am grünen Tisch über Aufund Abstieg entschieden. Keine optimale Situation.
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Luigi Ponte, Präsident des Aargauer Fussballverbands, über Vergangenheit und Zukunft des Amateurfussballs
Nachrücken, Zurücktreten, Herumschieben: Immer wieder wird am grünen Tisch über Aufund Abstieg entschieden. Keine optimale Situation.
◆ Luigi Ponte, seit letzter Woche ist bekannt, dass die 2. Mannschaft des FC Tägerig nun auch – wie die 1. Mannschaft – in der 4. Liga spielt (siehe dazu auch Meldung rechts). Eine seltsame Situation.
Luigi Ponte: Ja, da haben sich ein paar 4.-Liga-Teams zurückgezogen. Und andere wollten nicht aufsteigen aus der 5. Liga.
◆ Dieses Phänomen gibt es auch im Zusammenhang mit der 2. Liga Inter – Teams wollen nicht aufsteigen. Und dann gibt es einen Rattenschwanz von Folgen …
Mit dem Abstieg des SC Schöftland und dem freiwilligen Abstieg des SC Zofingen aus der 2. Liga Inter fanden im AFV keine 3.-/2.-Liga-Aufstiegsspiele statt, was sehr schade ist. Dabei war das natürlich ursprünglich nicht so gedacht: Die 2. Liga Inter wurde in der Saison 1999/2000 geschaffen – in der Absicht, etwas zwischen der 2. Liga Regional und der 1. Liga zu haben. Mit der Zeit merkte man, dass das Interesse der Clubs, in der 2. Liga Inter zu spielen, nachliess. Die Reisen wurden immer weiter, die Spesen immer mehr, die Zuschauer weniger. Wir haben einmal mit sechs Gruppen angefangen, jetzt sind es nur noch vier à 16 Teams. Aus dem Aargau spielen Rothrist und Muri in der 2. Liga Inter. In den letzten Jahren haben sich die Eagles Aarau, der FC Wettingen, Windisch und Zofingen freiwillig aus der Liga zurückgezogen.
Ich verstehe das. Nehmen wir Rothrist als Beispiel: Die müssen dreimal für Matches ins Tessin fahren. Das bedeutet jedes Mal etwa 200 Kilometer pro Weg, ein Car organisieren, die Spieler müssen für Wochentagsspiele den Nachmittag freinehmen, für die Spesen aufkommen. Dazu kommt, dass kaum je ein Rothrist-Fan extra ins Tessin fährt, um einen Match zu sehen. In der 2. Liga Regional hatte Rothrist sechs Vereine, gegen die sie in einem Radius von vielleicht zehn Kilometer spielen konnten. Dann kommen auch die Fans.
◆ Kann sich eine Mannschaft denn einfach so aus der 2. Liga Inter zurückziehen?
Nicht mehr – inzwischen kostet es eine Busse in einem hohen vierstelligen Bereich, wenn eine Mannschaft den Aufstieg von der 2. Liga quasi verweigert. Das bedeutet, dass man sich, wenn man als Mannschaft gegen Ende Saison einen guten Platz in der 2. Liga hat, überlegen muss, ob man noch Spiele gewinnen «möchte». Das kann es doch nicht sein – nicht im Amateursport.
◆ Wer will denn diese Liga?
Es sind vor allem einige Vereins-Clubpräsidenten, die vom Aufstieg träumen. Es ist aber auch nicht für alle gleich lästig. Die Welschen und Ostschweizer haben eine eigene Gruppe, viele Derbys, die können zum Beispiel quasi untereinander spielen. Wir Aargauer und zum Teil auch die Innerschweizer sind die, die es mit den weiten Reisen und allen negativen Folgen davon erwischt. Ich setze mich schon lang für die Abschaffung dieser Liga ein.
◆ Welche Lösung würden Sie denn vorschlagen?
Meine Vision wäre, dass es in der Schweiz nur noch Profis, Halb-Profis und echte Amateure gibt. Ich würde die Profis Profis sein lassen, die Super League. Die Challenge League und zwei Gruppen der 1. Liga zu einem Halb-Profi-Pool mit 4 mal 12 Mannschaften machen.
Die 2., 3., 4. und 5. Liga der Amateure würden in den 13 Regionen spielen, und am Ende können wir einen 2.- Liga-Schweizermeister ausspielen lassen. Die Möglichkeit des Aufstiegs in die 1. Liga würde ich abschaffen oder nur Vereinen ermöglichen, die bereits Budget und Infrastruktur zur Verfügung haben. Denn die Durchlässigkeit zwischen Amateuren und Profis ist für Vereine je nachdem auch mühsam. Steigt ein Team auf, muss es die ganze Infrastruktur anpassen, Unsummen von Geld investieren – nur, um dann vielleicht ein oder zwei Jahre später wieder abzusteigen. Wir Amateure haben im Profibereich nichts zu suchen, wir können das auch gar nicht stemmen.
◆ Ihre Vision würde finanziellen Druck von den Clubs wegnehmen. Was meinen denn die Spieler?
Irgendwann fangen die Spieler an, Spesen zu verlangen, wenn sie extrem weite Fahrten und Auswärtsverpflegung bezahlen müssen. Viele haben auch Mühe, wenn sie plötzlich mehr trainieren sollten. Aber natürlich haben Spieler einen Ehrgeiz. Heute zum Teil mehr als früher. Das hat auch mit dem Ausländeranteil zu tun. Früher, als ich Mellingen trainierte, bestand die Mannschaft praktisch nur aus Melligern, vielleicht kam noch einer aus Tägerig, oder aus Niederwil. Heute haben wir viele Auswärtige in den Mannschaften, Leute, die noch nicht lang hier sind, die vielleicht aus einem Kriegsgebiet kommen, die neben dem Fussball nicht noch einen guten Job, eine grosse Familie, andere Hobbys haben, ins Militär gehen. Sie träumen eher davon, es doch noch zu schaffen als Fussballprofis.
◆ Die klassischen Tellerwäscher-Geschichten, wie man sie zum Beispiel aus Südamerika kennt. Wie realistisch ist so ein Szenario in der Schweiz?
Überhaupt nicht, auch wenn es Spieler gibt, die davon träumen. Ich weiss von einem einzigen Fall in den letzten Jahren, wo ein Fussballer über den Amateurweg Profi wurde, das war Renato Steffen. Er war nie in einer Auswahl. Aber ich muss realistisch sagen: Er ist die Ausnahme und nicht die Regel.
Susanne Loacker