Grausame Tat aus nichtigem Anlass
30.08.2024 BirmenstorfAm Mittwoch wurde am Bezirksgericht Baden der Mordfall im Gasthof Adler verhandelt
Weil er in den Gang uriniert haben soll, musste ein 60-Jähriger sterben. Zwei seiner Zimmernachbarn im Hotel Adler – ein Rumäne und ein Deutscher – mussten sich vor Gericht wegen Mordes, ...
Am Mittwoch wurde am Bezirksgericht Baden der Mordfall im Gasthof Adler verhandelt
Weil er in den Gang uriniert haben soll, musste ein 60-Jähriger sterben. Zwei seiner Zimmernachbarn im Hotel Adler – ein Rumäne und ein Deutscher – mussten sich vor Gericht wegen Mordes, Angriff und Unterlassung der Nothilfe vor Gericht verantworten.
Während der Gerichtsverhandlung kamen die Einzelheiten zum Tatablauf und zum qualvollen Tod des Opfers ans Licht. Sowohl der heute 26-Jährige Rumäne als auch der 25-jährige Deutsche lebten schon länger auf dem selben Stockwerk wie das Opfer. Der Deutsche, Mirko B. (Name geändert), war sogar bereits seit mehreren Jahren Zimmernachbar des 60-jährigen Getöteten im Gasthof Adler. Der aus Rumänien stammende Hauptbeschuldigte, Adrian D. (Name ebenfalls geändert) lebte dort erst seit einigen Monaten. Die Vorgeschichte des Mordes ist erschreckend banal: Schon im Laufe des Tages begannen die beiden Beschuldigten – zunächst jeder für sich – grössere Mengen Alkohol zu konsumieren. Nicht ungewöhnlich, denn beide hatten damals nach eigenen Angaben ein Alkoholproblem. Am Abend lud Adrian D. dann Mirko B. in sein Zimmer ein, um gemeinsam weiter zu trinken. Dabei kam das Thema auch auf das Opfer, das angeblich zum wiederholten Male in den Flur uriniert haben sollte. Bereits eine Woche vorher hatten die beiden den 60-jährigen Schweizer deswegen zur Rede gestellt. Im Zuge dessen war es auch zu Tätlichkeiten gekommen. Der Rumäne soll das spätere Opfer dabei geohrfeigt haben. Dieser Vorfall sollte im späteren Verlauf der Verhandlung noch von Wichtigkeit sein.
Täter trampelte auf Opfer herum
Schliesslich gingen die beiden Beschuldigten in das Zimmer des Opfers, um ihn abermals mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Der offensichtlich gesundheitlich angeschlagene Mann lag wehrlos auf dem Rücken neben der Zimmertür. Obwohl er, wie die Gerichtsmedizin später feststellte, weder Alkohol noch Drogen im Blut hatte, war er zwar bei Bewusstsein, reagierte aber nicht auf die Fragen, was Adrian D. offensichtlich in Rage brachte: «Es fing damit an, dass er ihn geohrfeigt hat, bis es dann komplett ausgeartet ist», sagte Mirko B. aus. Auf seine Aussagen sowie die gesicherten Spuren und die Ergebnisse der Gerichtsmedizin stützt sich im Wesentlichen die spätere Tatrekonstruktion. Der Rumäne trat dabei laut Anklage mit grosser Wucht gegen Beine, Bauch, Flanke sowie den Oberkörper des Opfers, das sich zu wehren versuchte. Schliesslich stand D. mit einem Fuss auf dessen Kopf, stampfte auf dem Oberkörper herum, wobei er sogar in die Hocke ging, um die Gewichtlast zu erhöhen.
Am Ende würgte er das Opfer von hinten mit dem Ellenbogen und hielt ihm dabei Mund und Nase zu. Laut Obduktion führten die schweren Verletzungen schliesslich dazu, dass das Opfer 20 bis 30 Minuten später qualvoll erstickte: «Jede Minute fühlt sich an wie eine Ewigkeit, wenn man merkt, dass man langsam erstickt», beschrieb die Staatsanwältin den mutmasslichen Todeskampf des Opfers.
Sie tranken einfach weiter
Wie genau das Opfer die letzten Minuten erlebte, kann nie geklärt werden. Fest steht, es lebte noch, als Adrian D. von ihm abliess und die beiden aus dem Zimmer gingen, um seelenruhig weiter zu trinken. Auf die Frage, ob er nicht geschaut habe, wie es dem Opfer gehe, sagte Mirko B: «So verwerflich das klingen mag, ich habe damals nicht daran gedacht. Ich hatte das nicht auf dem Schirm.»
Beide Beschuldigten machten während der Befragung durch Gerichtspräsident Daniel Peyer ihren hohen Alkoholpegel geltend. Mirko B. der das Opfer nur einige Male gegen den Fuss getreten haben soll, will aus diesem Grund auch nicht erkannt haben, dass die Gewalttaten lebensgefährlich für das Opfer sein konnten. Er forderte Adrian D. dennoch mehrfach auf, aufzuhören und das Zimmer zu verlassen. Als Begründung sagte der IV-Bezüger, der schon seit frühester Kindheit unter psychischen Problemen leidet und in der Schweiz die Sekundarschule abschloss, nur: «Mir erschien das nicht richtig». Er griff aber selbst nicht direkt ein, weshalb ihm neben «Angriff», «Unterlassung der Nothilfe» zur Last gelegt wurde. Er habe Angst gehabt, selbst etwas abzubekommen, weil Adrian D. derart ausgerastet sei. Warum er nicht den Wirt alarmierte oder zumindest den Notruf wählte, konnte er, abgesehen von seinem Alkoholkonsum, nicht begründen. Am Ende seiner Aussage zeigte Mirko B. Reue und entschuldigte sich bei der Familie des Opfers.
Das tat auch der wegen Mordes angeklagte Rumäne. Gleichzeitig machte er jedoch Erinnerungslücken aufgrund seines hohen Alkoholpegels geltend: «Ich weiss nicht, wie das gekommen ist, ich war sehr betrunken», sagte er aus. Er erinnere sich nur noch, das Opfer angespuckt und gegen den Arm getreten zu haben. Auch warum er in das Zimmer gegangen sei, wisse er nicht mehr. Das Gericht zeigte sich ob der «selektiven Gedächtnislücken» einigermassen erstaunt.
Gab es andere Todesursache?
Die verminderte Schuldfähigkeit aufgrund des Alkoholpegels war denn auch in der weiteren Verhandlung immer wieder Gegenstand. Die Anwältin von Adrian D. rechnete diesen aufgrund der Aussagen ihres Mandanten gar auf 3 bis 6 Promille hoch. Er habe damit an einer Alkoholvergiftung gelitten und sei schwervermindert schuldfähig gewesen. Darüber hinaus brachte die Verteidigung anhand des Berichts der Gerichtsmedizin sowie der Krankenakte des Opfers andere mögliche Todesursachen ins Spiel. Der ehemals Suchtkranke habe unter anderem an Herzrhythmusstörungen gelitten. So könne der 60-Jährige auch an einem Herz- oder Schlaganfall gestorben oder an seinem Erbrochenen erstickt sein. Einen Eventualvorsatz, der unter anderem auf Mord hinweist, sah sie im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft nicht. Sie plädierte auf vorsätzliche Schwere Körperverletzung und beantragte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 9 Monaten sowie einen Landesverweis von 5 Jahren. Darüber hinaus solle ihr laut Gutachten unter einer erheblichen Störung der Persönlichkeitsentwicklung leidender Mandant in eine Massnahme für junge Erwachsene in einer psychatrischen Einrichtung verlegt werden. Die Staatsanwaltschaft hatte 18 Jahre wegen Mordes und 15 Jahre Landesverweis gefordert.
Auch die Anwältin des Deutschen verwies auf die verminderte Schuldfähigkeit ihres Klienten. Aufgrund seiner geringen Tatbeteiligung und des fehlenden Vorsatzes beantragte sie einen Freispruch vom Vorwurf des Angriffs, bestritt aber die unterlassene Nothilfe nicht: «Er war geschockt und hatte Angst vor der Reaktion von Adrian D.», sagte sie. Sie betonte das umfangreiche Geständnis ihres Mandanten und dessen positive Entwicklung. Sie erinnerte an dessen schwere Kindheit, die dieser teilweise in Kinderheimen in Deutschland und der Schweiz verbrachte. Er befinde sich in Therapie, habe einen geschützen Arbeitsplatz und eine Freundin, deren Familie ihm zum ersten Mal Halt gebe. «Er hat den Rank im Leben gefunden», bilanzierte sie und plädierte wegen der Unterlassung der Nothilfe auf eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren, davon sechs Monate unbedingt, statt der geforderten 5 Jahre. Weil ihr Mandant sein halbes Leben in der Schweiz gelebt habe und ein Landesverweis «die absolute Zerstörung seiner Existenz» bedeute, machte sie einen Härtefall geltend.
Beide Täter schuldig gesprochen
Nach zweistündiger Beratung sprach das Gericht die Beschuldigten in allen Punkten für schuldig. Das Gericht habe keinen Zweifel, dass D. den Tod des Opfers verursacht habe, so Daniel Peyer. Die Begehung der Tat sei besonders kaltblütig und skrupellos gewesen. Tat und Motiv stünden ausserdem in «krassem Missverhältnis. Auch den Eventualvorsatz sah das Gericht als gegeben. Es verurteilte den Rumänen zu 11 Jahren Haft und 15 Jahren Landesverweis. Die Voraussetzungen für eine Stationäre Massnahme sah das Gericht nicht. Der Deutsche erhielt eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten, davon 6 Monate unbedingt sowie einen Landesverweis von 5 Jahren. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.
Michael Lux