Sie sucht mögliche Halbgeschwister
11.10.2024 Fislisbach, Region ReusstalMonika Peterhans, die ursprünglich aus Fislisbach stammt, hat einen ungewöhnlichen Leserbrief geschrieben
Monika Peterhans, Jahrgang 1937, glaubt, dass sie als «Kuckuckskind» geboren wurde und der Mann, der sie aufzog, nicht ihr leiblicher Vater war. Mit einem Leserbrief ...
Monika Peterhans, die ursprünglich aus Fislisbach stammt, hat einen ungewöhnlichen Leserbrief geschrieben
Monika Peterhans, Jahrgang 1937, glaubt, dass sie als «Kuckuckskind» geboren wurde und der Mann, der sie aufzog, nicht ihr leiblicher Vater war. Mit einem Leserbrief will sie Licht ins Dunkle bringen. Der «Reussbote» hat nachgefragt.
Ich heisse Monika Peterhans und wurde 1937 in Fislisbach als Kuckuckskind geboren. Das heisst, mein vermeintlicher Vater, der mich grosszog, war nicht mein leiblicher Vater. Gezeugt hat mich ein jüdischer Hausierer aus der Region Endingen/ Lengnau.» So beginnt der Leserbrief von Monika Peterhans. Sie vermute, dass ihr leiblicher Vater vielleicht noch mehr Kinder gezeugt haben könnte, sie also noch Halbgeschwister hat, mit denen sie sich gerne austauschen möchte, schreibt sie weiter. Eine ungewöhnliche Geschichte, die neugierig macht – und die die heute 87-Jährige schon seit 40 Jahren umtreibt, wie sie am Telefon erzählt.
Aber der Reihe nach: «Ich bin in Fislisbach geboren. Ich habe fünf Geschwister, ich bin die Zweite», erzählt die heute in Locarno lebende Seniorin, die in der damals rund 1000-Seelen-zählenden-Gemeinde in einer Bauernfamilie aufwuchs: «Mein Vater ist Bannwart gewesen», ergänzt Peterhans. Ihr Leben verlief anfangs in geregelten Bahnen: Mit 24 Jahren heiratete sie, bekam später einen Sohn und eine Tochter. Ihre eigene Mutter verstarb jedoch schon früh mit 58 Jahren. Der Vater verkaufte daraufhin sein Land und zahlte seine Kinder aus: «Wir haben ziemlich geerbt», verrät Peterhans. Das Vermögen sei direkt an ihren Mann gegangen, denn Frauen ihrer Generation hätten damals Ende der Sechzigerjahre trotz beginnender Emanzipation noch nicht viel zu sagen gehabt. «Wir hatten ein schönes Leben», sagt sie dennoch rückblickend. Gemeinsam wohnte die Familie in einem Terrassenhaus in Nussbaumen, das vom Erbe gekauft worden war. Zehn Jahre ging alles gut. Sie kümmerte sich um die Kinder, bekochte die Schwiegermutter sowie eine Tante.
Bruch mit der Familie
Dann bekam die Idylle durch eine Krankheit in der Familie Risse. Als Peterhans, die sich kurze Zeit vorher als Kosmetikerin selbstständig gemacht hatte, sich immer mehr zu emanzipieren begann, verschlechterte sich zunehmend auch das Verhältnis der Eheleute. «Er wollte nur etwas: Ich sollte mich fügsam verhalten, wie früher», schreibt Monika Peterhans in einem von zwei Büchern, die sie über ihr Leben verfasst hat. Heute glaubt sie jedoch, dass das Verhältnis auch noch durch das ihr damals noch unbekannte Familiengeheimnis getrübt wurde, von dem ihre Schwiegermutter wusste.
Schliesslich floh sie aus der Situation, die sie zunehmend krank machte: «Ich bin ausgezogen und habe ein neues Leben angefangen», erzählt sie. Nach der Scheidung hätten sich Familie und Umfeld abgewendet, berichtet Peterhans, die daraufhin in eine schwere Krise fiel und sich in psychologische Behandlung begeben musste.
Etwa zur gleichen Zeit hörte sie zum ersten Mal, dass sie nicht von ihrem vermeintlichen Vater gezeugt worden sei. Eine Frau fragte sie, ob sie wisse, dass sie jüdische Wurzeln habe. Lange habe sie sich nicht getraut, weiter zu forschen, auch um ihre Mutter nicht in ein falsches Licht zu bringen, so Peterhans. Richtig zu recherchieren begann sie erst vor 20 Jahren, ging gedanklich weit zurück in ihre Vergangenheit. Plötzlich ergab für sie vieles Sinn. Sie erinnerte sich an einen jüdischen Hausierer der damals immer zu ihrer Mutter auf den Hof gekommen sei – auch noch nach ihrer Geburt. «Das ist mir innerlich geblieben, wie der Mann immer wieder bei meiner Mutter war», erzählt sie. Gleichzeitig habe sie sich immer fremd gefühlt in der Familie. Insbesondere zu dem Vater, der sie aufgezogen hatte, habe sie keine Verbindung gespürt. Zu ihrer Mutter hingegen schon, für die sie viel Verständnis hat. Die Zeit sei damals schwierig für die Frauen gewesen: «Die Männer sind alle an der Grenze gewesen», sagt sie.
40 Jahre der Recherche
Weil die Schwestern, die ehelich geboren wurden, sich an den Namen des Hausierers erinnerten, konnte Peterhans dessen Spur bis nach Lengnau verfolgen. Die nächsten Jahre beschäftigte sie sich immer mehr mit ihren Wurzeln, mit der jüdischen Geschichte und Kultur, mit der sie sich zunehmend identifizierte. Auch mit ihrem mutmasslichen Erzeuger fühlt sie sich verbunden: «Ich trage diesen Mann in mir», beschreibt sie ihre Gefühle.
Zur Ruhe kam Peterhans, die auch sonst ein bewegtes Leben führte und unter anderem nach Sri Lanka und Mexiko reiste, dennoch nicht. Weil sie mit ihrer Geschichte immer wieder aneckte, fühlte sie sich kraft- und haltlos und wurde immer wieder krank. Erst als sie vor vier Jahren von Baden, wo sie 20 Jahre lang ein eigenes Kosmetikstudio geführt hatte, ins Tessin zog, konnte sie aufatmen. In dieser Zeit schrieb sie ihr zweites Buch, in dem sie sich nochmals mit ihren jüdischen Wurzeln befasst. Ob ihr vermeintlicher Erzeuger wirklich ihr leiblicher Vater ist, kann wohl nicht mehr endgültig bewiesen werden. Falls sich wirklich noch Halbgeschwister fänden, wäre das für Peterhans eine Möglichkeit, mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen.
Michael Lux