Abschied vom 225-jährigen Sulzer Bauernhaus
17.01.2025 KüntenIn Sulz wird der um 1800 erbaute Trottenhof der Familie Kohler abgebrochen. Damit wird Platz für ein Mehrfamilienhaus geschaffen
Mit dem Abriss geht eine Familiengeschichte zu Ende. Zehn Generationen der Kohlers lebten im Bauernhaus an der Dorfstrasse in Sulz – zuletzt die ...
In Sulz wird der um 1800 erbaute Trottenhof der Familie Kohler abgebrochen. Damit wird Platz für ein Mehrfamilienhaus geschaffen
Mit dem Abriss geht eine Familiengeschichte zu Ende. Zehn Generationen der Kohlers lebten im Bauernhaus an der Dorfstrasse in Sulz – zuletzt die Grossfamilie mit 18 Kindern.
Für die noch zehn lebenden Geschwister hiess es kurz vor Weihnachten endgültig von ihrem Elternhaus Abschied nehmen. Noch einmal posierten sie für das Foto vor dem Trottenhof, bevor er nun bis zum Frühjahr zurückgebaut wird. Damit geht eine übe 200-jährige Sulzer Dorfgeschichte zu Ende. Das Bauernhaus weicht einem Mehrfamilienhaus mit fünf Mietwohnungen.
Mit dem Abriss kommen Alois Kohler (74) Erinnerungen an die Zeit hoch, als er zusammen mit seinen weiteren 17 Geschwistern auf dem Bauernhof an der Dorfstrasse in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. So schliefen die Kinder zu viert in einem Bett, Mädchen und Knaben getrennt in zwei Zimmern, die kleinsten im Bett der Eltern. «Solche Verhältnisse sind heute kaum mehr vorstellbar», sagt Alois Kohler, als er mit dem «Reussbote» im ersten Stock des Bauernhauses steht, wo sich die Schlafzimmer befanden. Im Winter seien nur die Küche und die Stube beheizt gewesen. Daher habe es auch Vorteile gehabt, mit den Geschwistern ein Bett zu teilen.
Die Mutter war für die Familie da
Die Grossfamilie hielt die Mutter Maria Kohler zusammen. Sie schaute trotz Armut dazu, dass die Kinder gut aufwachsen konnten. Nur ein Kind erreichte das Erwachsenenalter nicht. Auf dem Hof gab es vier Kühe und zwei Pferde. «Die Mutter sagte, dass die Milch der Kühe nicht für die ganze Familie reichte», erinnert er sich. Die Pferde wurden vom Vater für die Feldarbeiten eingesetzt. Zusätzlich transportiert er für Lohnarbeiten für Dritte Waren mit ihnen. War eines der Kinder krank, lud die Mutter es in einen Leiterwagen und brachte es zu Fuss nach Bremgarten zum Arzt. «Meine Mutter ist trotz der vielen Kinder und der harten Arbeit 92 Jahre alt geworden», sagt Kohler.
Den Hof übernahm 1962 Sohn Hugo Kohler. Meine Mutter und mein Bruder Hugo hatten bis zu ihrem Tode das Wohnrecht auf dem Hof.»
Letzter Umbau war vor 50 Jahren
Der letzte Umbau des Bauernhauses war 1974, als Alois Kohler seine Frau Brigitte heiratete und sie auf den elterlichen Hof zogen. Nach zwei Jahren entschloss sich das Paar mit seinen zwei kleinen Söhnen den Hof wieder zu verlassen – Spannungen zwischen den Familien waren der Grund. «Wir gingen nicht im Streit. Meine Mutter hat den Entscheid unterstützt», erinnert sich Kohler. Nach zwei Jahren in Würenlingen erfolgte der Umzug nach Murimoos. Mittlerweile hatte die Familie drei Söhne. «Ich fing im Murimoos als Untermelker an und arbeitete mich zum Betriebsleiter hoch. Insgesamt war Kohler 35 Jahre dort tätig. Kohler war dafür verantwortlich, dass das Murimoos 1996 auf Bio umstellte. Damals wurde er dafür von einigen als «Spinner» abgetan. Wie sich herausstellte, war seine Idee visionär und keineswegs eine Fantasterei. Heute ist der Betrieb in der Region ein Vorzeigeobjekt.
Hof nach Unfall übernommen
Als Bruder Hugo im November 1996 einen schweren Unfall mit einer Kuh erlitt musste er noch am gleichen Tag operiert werden. «Man wusste nicht, ob er die Operation überlebt», sagt Alois Kohler. Im Spital übertrug sein Bruder den Hof auf ihn. Hugo überlebte, war aber nicht mehr in der Lage, den Hof zu bewirtschaften. Alois Kohler übernahm daher 1997 den Hof offiziell. «Mir wurde davon abgeraten, da der Hof auch unter meinem Bruder nicht rentabel war», sagt er. Die Arbeit auf dem Hof übernahmen die Söhne Adrian und Patrick. Alois Kohler arbeitete bis zur seiner Pensionierung 2016 im Murimoos weiter. Er sorgte aber dafür, dass der elterliche Betrieb ebenfalls auf Bio umgestellt wurde. Zuerst wurde ein neuer Stall gebaut. Da der Hof inmitten der Siedlung nicht mehr den Gesetzesanforderungen im Bereich der Gewässer- und Tierschutzbestimmungen entsprach, entschieden sich die Kohlers einen neuen Hof an der Stetterstrasse Richtung Stetten zu errichten und den ursprünglichen Hof stillzulegen. Bis zum Abbruch wohnten jeweils Saisonarbeiter im Wohnhaus. «Für die Feldarbeiten sind wir mit dem heutigen Standort am richtigen Ort», so Kohler. Die Errichtung des neuen Hofes fand in Etappen, von 2009 bis 2017, statt. «Wir konnten so viel Eigenleistungen erbringen», sagt er. Inzwischen ist auch der dritte Sohn, Simon, im Betrieb eingestiegen. «Es war mir wichtig meinen Söhnen eine gesicherte Perspektive für die Zukunft zu bieten», sagt er. Mit dem Abriss des alten Bauernhauses und der Erstellung eines neuen Mehrfamilienhauses will Alois Kohler zusätzlich etwas für die nachkommende Generation hinterlassen, dass nachhaltig ist.
Mietwohnungen sind erschwinglich
Bei Alois Kohler steht in erster Linie nicht der monetäre Gedanke. Daher werden keine Wohnungen verkauft, sondern zu bezahlbaren Preisen vermietet. Möglich ist dies, da das alte Gebäude nicht denkmal-, sondern nur ortsbild- und volumengeschützt ist. Das heisst, dass das neue Mehrfamilienhaus in gleicher Grösse und im gleichen Stil ersetzt werden kann. «Ich weiss, dass meine Mutter mein Vorhaben begrüssen würde», sagt er. «Mir ist es wichtig, dass das Dorfbild von Sulz auch mit dem neuen Gebäude erhalten bleibt.» Daher wir auch Holz aus dem eigenen Wald und der Gemeinde verwendet.
Alte Unterlagen wiederentdeckt
Um mit seiner Familiengeschichte gut abschliessen zu können, war es Alois Kohler wichtig, den Abbruch zusammen mit seinen Söhnen durchzuführen. Das heisst, Stück für Stück wird abgetragen. Steine werden mit Steinbrechern recycelt, Holz zu Feuerholz und die Dachziegel zu Altmetall verarbeitet. Beim Besuch des «Reussbote» waren die Arbeiten bereits im vollen Gang, die Scheune war bereits teilweise abgebrochen. «Beim Wohnhaus kamen verschiedene Bautechniken zum Vorschein», so Kohler. «War früher etwas baufällig, wurden Wände und Balken ersetzt. Daher sind zurzeit verschiedene Mauern aus Böllersteinen, Bachsteinen und auch mit Lehm verkleideten Astgeflechten zu sehen. Bei den Abbrucharbeiten kam auch ein altes Buch des Grossvaters, das Fotoalbum der Familie und ein Gemälde vom Bauernhof wieder zum Vorschein. Das Bild hängt als Erinnerung nun im Esszimmer von Alois Kohler. Die Baubewilligung für das neue Mehrfamilienhaus ist bereits erteilt. Der Spatenstich erfolgt am 23. Januar.
Debora Gattlen