Den Umgang mit Gefühlen erlernen.
22.08.2025 GesundheitBeratungskolumne der Schulischen Heilpädagogin und Familientherapeutin Iris Selby
Werkzeugkiste für eine gelingende Erziehung: Wie Du deine Kinder erziehst – und ganz nebenbei auch Dich selbst!
Frage von Yara:
«Meine Tochter Elena ist emotional. ...
Beratungskolumne der Schulischen Heilpädagogin und Familientherapeutin Iris Selby
Werkzeugkiste für eine gelingende Erziehung: Wie Du deine Kinder erziehst – und ganz nebenbei auch Dich selbst!
Frage von Yara:
«Meine Tochter Elena ist emotional. Schon bei kleinen Unstimmigkeiten weint sie oder wird wütend. Es fällt ihr schwer, ihre Gefühle zu regulieren. Den Start in die zweite Klasse hat sie gut geschafft, aber zu Hause ist sie nach der Schule oft aufgedreht und schreit wegen Kleinigkeiten.»
Gefühle zu regulieren, muss erlernt und geübt werden – ähnlich wie Fahrradfahren oder Schwimmen. Je besser Kinder ihre Gefühle benennen können, desto weniger sind sie ihnen ausgeliefert. Sie geraten seltener aus der Fassung und finden schneller zurück in die Ruhe.
Vorbilder helfen
Ein wichtiger Schritt bei der Begleitung von Kindern ist es, ihnen dabei zu helfen, ihre Gefühle zunächst zu erkennen und dann auch in Worte zu fassen. Dazu braucht es gute Vorbilder. Eltern und andere Bezugspersonen können die aufkommenden Gefühle spiegeln, diesen einen Namen geben und dadurch die nötige Orientierung verschaffen. So lernen Kinder, ihre Gefühlswelt zu verstehen. Das bedeutet, zunächst Gefühle wahrzunehmen, sie anschliessend zu benennen, dann zu regulieren und schliesslich angemessen auszudrücken. Eine durchaus anspruchsvolle Fähigkeit.
Reflektion mit «Spiegeln»
Sehr hilfreich ist das sogenannte «Spiegeln». Dabei reflektiert die erwachsene Person dem Kind, welches Gefühl sie bei ihm wahrnimmt. Das Kind spürt: «Da sieht mich jemand, da versteht mich jemand.» Je feiner wir Gefühle benennen, desto vielfältiger können Kinder diese später selbst ausdrücken.
Das geht so: «Du freust dich sehr, dass es heute dein Lieblingsessen gibt, stimmt’s?», «Ich kann es dir ansehen; du bist erleichtert, dass deine Hausaufgaben geschafft sind.», «Bist du enttäuscht, dass ich keine Zeit hatte, mit dir zu spielen? Kann das sein?».
Beim Spiegeln von Gefühlen schwingt immer eine eigene Interpretation mit, da wir nicht direkt fühlen können, was das Kind fühlt. Deshalb ist es klug, vorsichtige, offene Formulierungen zu wählen. «Du wirkst auf mich…», oder «Bist du vielleicht…?». So erhält das Kind die Möglichkeit, zu bestätigen, zu korrigieren oder klarzustellen – ohne festgelegt zu werden. Gleichzeitig stärkt das seine Selbstwahrnehmung.
«Gefühle zu steuern ist Training, kein Talent.»
Wenn Worte fehlen
Nicht immer und vor allem nicht am Anfang, können Kinder Gefühle in klare Worte fassen. Deshalb sind auch andere Zugänge wichtig. Bilderbücher, Comics, Filme oder Serien bieten wunderbare Schauplätze, um gemeinsam über Gefühle zu sprechen. Viele Kinder drücken ihre Gefühle lieber kreativ als mit Worten aus. Kneten bietet die Möglichkeit, Emotionen buchstäblich in Form zu bringen. Jüngere Kinder verarbeiten ihre Empfindungen oft in Rollenspielen – sei es beim Puppenspiel als Cowboy oder im Räuber-und-Poli-Spiel. Jugendliche greifen eher zum Tagebuch, um Gedanken und Gefühle zu sortieren. Im Spiel können Gefühle frei fliessen, was entlastend wirkt. Deshalb brauchen Kinder, auch Schulkinder, ausreichend Zeit für freies Spiel.
Du gehst rauf – ich runter
Steckt ein Kind mitten in einem starken Gefühl, prallen Erklärungen oder Ermahnungen ab. Manchmal verschlimmern sie die Situation sogar. Denn ein überfordertes Gehirn kann in diesem Moment keine weiteren Reize verarbeiten. In solchen Momenten hilft es, Ruhe auszustrahlen: einfach da zu sein, die Stimme und das Tempo zu senken, sich neben das Kind zu setzen oder auf Augenhöhe zu gehen. So ermöglichen wir Co-Regulation – das Nervensystem des Kindes kann sich an unserer Gelassenheit orientieren. Wir werden zum Rettungsanker, an dem es Halt findet. Sobald das Kind wieder aufnahmebereit ist, können Trost, Körperkontakt oder ein ruhiges Gespräch folgen.
Selbst regulieren
Das klingt leichter, als es ist. Denn die starken Gefühle unserer Kinder wecken oft auch unsere eigenen. Wut, Angst oder Verzweiflung des Kindes können Erinnerungen an die eigene Kindheit wachrufen. Viele von uns haben gelernt, Gefühle zu verdrängen, weil sie damals nicht willkommen waren. Und nun sollen wir unsere Kinder genau bei diesen Gefühlen begleiten – während uns die eigenen Emotionen überwältigen?
Darum ist es wichtig, auch sich selbst immer wieder besser kennenzulernen. In Beratungen frage ich oft: «Wie wurde in eurer Familie mit starken Gefühlen umgegangen? Wie erlebt ihr diese heute? Spürt ihr sie auch im Körper?» Solche Einsichten helfen, den eigenen Gefühlshaushalt zu regulieren und erleichtern auch den Umgang mit den Gefühlen der Kinder.
SOS-Strategien
Manchmal wird es dennoch zu viel. Dann helfen kleine Notfallstrategien: kurz den Raum verlassen, tief durchatmen, ein Glas kaltes Wasser trinken, sich an eine Wand lehnen oder sich vorstellen, in einer schützenden Glocke zu sitzen, an der alles abprallt. Solche Methoden schaffen Abstand und erleichtern den Weg zurück ins Gleichgewicht.
Strategien für Kinder
Auch Kinder brauchen Werkzeuge, um mit starken Gefühlen umzugehen – am besten findet man sie gemeinsam in ruhigen Momenten. Manche Kinder beruhigen sich, wenn sie sich in einen engen Raum zurückziehen, etwa in einen Wäschekorb, unter den Tisch oder unter eine Decke. Andere nutzen Fidget-Toys, kleine handliche Spielzeuge, die Konzentration und Fokus fördern. Wieder andere mögen Gewichtstiere oder hören ihr Lieblingslied in Dauerschleife. Entscheidend ist, dass die Strategien zum Kind passen. Wird die Gefühlsregulierung zur ständigen Belastung, ist es sinnvoll, therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Stress reduzieren
Gefühlsstarke Kinder brauchen besonders viel Ausgleich. Wichtig sind ausreichend Schlaf, viel Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, genügend Flüssigkeit, feste Routinen und Rückzugsmöglichkeiten. Eltern können Stress reduzieren, indem sie die Bedürfnisse ihrer Kinder ernst nehmen und verlässlich darauf reagieren. Auch ein klarer Tagesablauf wirkt stabilisierend – so lernen Kinder, sich im Alltag sicher und geborgen zu fühlen.
Gemeinsam wachsen
Kinder wachsen, wenn wir ihnen etwas zutrauen und zugleich Sicherheit geben. Es wäre falsch, alle Schwierigkeiten von ihnen fernzuhalten – gerade beim Schulstart oder auch beim Übertritt in eine neue Klasse, wenn plötzlich sehr vieles ganz neu ist. Ein solcher Übergang braucht immer Zeit, Geduld und eine wohlwollende Begleitung.
Allen Kindern wünsche ich einen schwungvollen Start in Kindergarten oder Schule – und den Eltern viel Freude beim Mitlernen – beim Rechnen und Lesen, im Geduldüben oder beim tiefen Durchatmen.
Dabei viel Spass! Eure Iris Selby Weitere Fragen erreichen mich per E-Mail an: mail@irisselby.ch
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