Die alte Mühle hat viele Gesichter gesehen
22.08.2025 NiederwilDie ehemalige Mühle am Mühleweg 2 ist wohl das älteste noch erhaltene Gebäude im Ort. Sie hat fast 450 Jahre auf dem Buckel
Die einstige Mühle geht auf das Jahr 1579 zurück und ist ein historisch wichtiger Bestandteil des Niederwiler Ortsbildes. ...
Die ehemalige Mühle am Mühleweg 2 ist wohl das älteste noch erhaltene Gebäude im Ort. Sie hat fast 450 Jahre auf dem Buckel
Die einstige Mühle geht auf das Jahr 1579 zurück und ist ein historisch wichtiger Bestandteil des Niederwiler Ortsbildes. Die Besitzerfamilien lassen sich bis Anfang des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Von der Strasse aus könnte man die ehemalige Mühle, die etwas östlich des eigentlichen Dorfkerns liegt, fast übersehen. Teils verdeckt von der dazugehörigen grossen Scheune duckt sie sich in den Hang des Bachtals, wo noch immer der Mühlibach gluckert. Steht man dann direkt vor der breit gedrungenen zweigeschossigen Fassade mit dem ausladenden sogenannten «geknickten Halbwalmdach» und den mit Naturstein gefassten Fenstern und grünen Fensterläden erkennt man erst, wie stattlich die Mühle im Vergleich zu gewöhnlichen Bauernhäusern gebaut ist. Neben den praktischen Erfordernissen ist dies auch der gehobenen sozialen Stellung des Müllers innerhalb des Dorfverbandes geschuldet. Denn Mühlen waren für die lokale Nahrungsversorgung in Zeiten mangelhafter Transportwege besonders wichtig. So steht das Haus auch im Bauinventar der kantonalen Denkmalpflege, in dem das historische Bauwerk gewürdigt und ausführlich behandelt wird.
Älter als die Dorfkirche
Bereits seit der Zeit um 1400 soll es eine Mühle in Niederwil gegeben haben. Die heutige ehemalige Mühle geht auf das Jahr 1579 zurück und ist damit über 100 Jahre älter als die 1690 erbaute, denkmalgeschützte Pfarrkirche. Auf das Baujahr weist das Rundportal aus Mägenwiler Muschelkalk an der östlichen Trauffassade hin. Über dem einstigen Zugang zum Mühlekeller prangt die entsprechende Jahreszahl, daneben ist ein Mühlerrad eingemeisselt. Der Steinmetzmeister hat sich ebenfalls mit seinem Zeichen für die Nachwelt in Stein verewigt. Während das Gebäude selbst aus dem 16. Jahrhundert stammt, gehen die Fenster sowie das charakteristische Dach mit der speziellen sogenannten Flugsparrenkonstruktion laut Denkmalpflege vermutlich auf einen Umbau im 18. Jahrhundert zurück. Denn im Laufe ihrer Geschichte hat die Mühle nicht nur viel gesehen, sondern auch einige Besitzerwechsel erlebt.
Anhand von Kaufverträgen lassen sich die Eigentümerwechsel bis Anfang des 17. Jahrhunderts nachverfolgen. Demnach verkaufte 1613 ein Hans Jakob Meyer die Mühle mitsamt dem dazugehörigen Land an Michael Notter. Damals umfasste das Mühlegut neben der Mühle mit Mahlwerk und Haferdarre (eine Vorrichtung zum Trocknen des Hafers) eine «Stampfe» für Getreide und Flachs sowie Wiesen und Äcker. Laut Aufzeichnungen der Denkmalpflege blieb die Mühle bis um 1700 im Besitz der Familie Notter. 1701 verkauften sie Ulrich und Johann Hubschmidt an das Kloster Gnadenthal. Zum Inventar gehörten damals neben dem Mahlwerk eine «Rölle» zum Entpelzen des Getreides sowie ein zweites Mahlwerk in einem separaten Gebäude, darüber hinaus eine Scheune, die Mühlematte, ein Garten sowie einige Äcker. Mitte des 18. Jahrhunderts gelangte die Mühle dann in den Besitz der Familie Seiler und im Jahr 1921 wurde sie schliesslich stillgelegt.
Ausbau und Modernisierung
Wo die Aufzeichnungen der Denkmalpflege aufhören, beginnt die Geschichte der heutigen Besitzer, der Familie Hufschmid. Heute gehört die Mühle Thomas Hufschmid und seiner Frau Renate, die mit ihrer Familie hier leben. Die Eltern Hans und Vroni wohnen ebenfalls noch im Haus. «Der Grossvater hatte schon das Haus», erzählt Hans Hufschmid (Jahrgang 1944). Wohl um 1880 müsse die Familie zur Mühle gekommen sein. Er weiss auch noch, welche Verbindung zu den Vorbesitzern bestand: «Meine Grossmutter Ida war eine geborene Seiler», erklärt er.
Er selbst baute gemeinsam mit seiner Frau in den späten 1970er-Jahren den hinteren Teil mit dem ehemaligen Mahltrakt zum Wohnteil um. «Die Mühle ist am Verfallen gewesen», erinnert sich Vroni Hufschmid. Darüber hinaus sei es im Haus selbst sehr beengt zu und hergegangen. Mit «ganzen Tannen» seien die Bauarbeiter damals beim Umbau gekommen und hätten damit das Dach abgestützt, während das Mauerwerk erneuert wurde.
Obwohl das Gebäude innen modernisiert wurde, erinnert auch hier noch manches an die ehemalige Historie. Im Bereich des Mühlekellers und des ehemaligen Mahlwerks ragt beispielsweise noch immer eine mächtige alte Eichensäule mit schmuckvoller Verzierung über zwei Stockwerke auf. Laut Denkmalpflege finden sich solche Säulen auch in anderen alten Mühlen. Denn diese übten eine wichtige statische Funktion aus, da bei den Mahlvorgängen grosse Kräfte auf das Gebäude wirkten.
Im Wohnteil fallen ausserdem die besonders dicken steinernen Wände auf. Während die angrenzende Scheune über einen unterirdischen Gewölbekeller verfügt, hat die Mühle heute keinen klassischen Keller – denkt man zumindest auf den ersten Blick. Bis Vroni Hufschmid eine geheime Tür im Flur öffnet. Dahinter verbirgt sich ein – wenn auch kleiner – Kellerraum samt gewölbter Decke. Wie schon zu früheren Zeiten werden hier Lebensmittelvorräte und Eingemachtes gelagert: «Das ist ganz gäbig, er hält immer die gleiche Temperatur und auch im Sommer bleibt er kühl», erzählt Vroni Hufschmid. Auch im Haus selbst bleibe es relativ kühl im Sommer, ergänzt Schwiegertochter Renate.
Sie und ihr Mann Thomas sanierten das Haus vor einigen Jahren abermals. Neben der Fassade wurde auch das Dach gemacht: «Die Form des Daches ist identisch geblieben», betont sie. Im Zuge der Sanierung bauten die beiden auch den Estrich aus. An einer Dachseite wurden «Lukarnen angebaut», um mehr Platz im Dachgeschoss zu schaffen.
Alte Dinge erhalten neues Leben
An so einem alten Gebäude gibt es natürlich auch immer etwas zu tun. Hinter dem Haus sind gerade einige frisch gestrichene Fensterläden zum Trocknen aufgestellt. «Die Fensterläden sind Massanfertigungen, weil jedes Fenster eine andere Grösse hat», so Renate Hufschmid. Daher seien alle Läden nummeriert, weil jeder nur zu einem Fenster passe. Vor dem Haus finden sich dann noch weitere Relikte der alten Mühle. Neben dem Briefkasten sind zwei steinerne Fundamente des alten Mahlwerks aufgestellt und aus einem der früheren Mahlsteine sprudelt jetzt im Vorgarten ein Springbrunnen. So lebt die alte Mühle fort – wenn auch in gewandelter Form.
Michael Lux
Die ältesten Häuser
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