Die klebrigste Steuer der Schweiz abschaffen
09.09.2025 LeserbriefeEin Eigenmietwert auf selbstbewohnte Liegenschaften ist eine Merkwürdigkeit unseres Steuersystems, die wir wie ein lästiges Klebeband von unseren Fingern, nicht abstreifen können. Die Nutzung einer selbstbewohnten Liegenschaft gilt als Einkommen und wird immer höher ...
Ein Eigenmietwert auf selbstbewohnte Liegenschaften ist eine Merkwürdigkeit unseres Steuersystems, die wir wie ein lästiges Klebeband von unseren Fingern, nicht abstreifen können. Die Nutzung einer selbstbewohnten Liegenschaft gilt als Einkommen und wird immer höher besteuert. Das erinnert an Perücken- steuern, Latrinensteuern und Schuhsteuern. Kuriositäten, die wir aus der Geschichte kennen.
Die Steuer war ein Kind schwerer Notlagen, die das Land in ihrer Existenz bedrohten. Befristet eingeführt im Ersten Weltkrieg, dann wieder 1934 und 1938. Dann wurde daraus eine Dauerabgabe. Versuche die Steuer wieder abzuschütteln, blieben erfolglos. Der Bund schlägt jetzt eine Reform vor. Nimmt das Volk die Änderung am 28. September an, ist diese Steuer endlich Geschichte.
Der Eigenmietwert ist ein künstliches Einkommen. Klar kann ich den Unterhalt abziehen, man wählt die Pauschale oder man weist alle Kosten aus: dafür gibt es ein Merkblatt von 49 Seiten. Die Gerichtspraxis zu diesem Thema füllt viele Bundesordner. Was ist «werterhaltend» oder «wertvermehrend»? Das eine kann man abziehen, das andere nicht. Berüchtigt war über Jahre auch die sogenannte «Dumontpraxis», die Ersterwerber von älteren Liegenschaften auf Trab hielt. Geprüft werden die Belege einzeln beim Kanton. Da schaut man genau hin: Wer irrtümlich «Spielsand» als Beimischung für Zement verwendet, kann zu Recht nicht auf Kulanz zählen. Alle geben sich Mühe, es recht zu machen, aber es bleibt ein aufwendiger «Leerlauf». Abziehen kann die Besteuerte die Schuldzinsen. Eine hohe Verschuldung führt zu tieferen Steuern. Die Schweiz hat darum auch eine der höchsten Hypothekarverschuldungen weltweit. Die Finanzindustrie hat daraus nach angelsächsischem Vorbild, ein eigenes Geschäftsmodell mit soliden Erträgen geformt. Hypotheken werden indirekt amortisiert, die Verschuldung wird künstlich hochgehalten, mit der Belehnung wird in Anlageklassen investiert, die höhere Erträge versprechen. Daraus entstehen Risiken, vor allem dann, wenn die Zinsen steigen. Eine Steuer, die nur ein Finanzkarussell am Laufen hält, sollte nicht künstlich am Leben erhalten werden.
Die Besteuerung des Eigenmietwertes ist keine «Reichensteuer». Es ist eine Belastung des wirtschaftlichen Mittelstandes, der nicht ausweichen kann. Die hohen Vermögen sind viel breiter, in verschiedene Anlageklassen gestreut und werden dort besteuert. Anderes beim Mittelstand, der sein Vermögen in einer PK oder Wohneigentum angespart hat. Steuerwerte orientieren sich immer mehr an aktuellen Verkehrswerten, die Eigenmietwerte an Marktmieten. Das Bundesgericht hat dazu bereits wegweisend geurteilt. Hart trifft es die Sparsamen mit geringer Verschuldung. Für die ältere Generation bleibt meist nur der Verkauf oder die Kulanz der Steuerbehörde bei «Unternutzung».
Den «klebrigen» Balast des Eigenmietwerts können wir abschütteln, dann haben wir die Hände frei für Neues.
Hanspeter Koch, Die Mitte, Mellingen