«Ein Schwinger ist man, oder man ist es nicht»
12.09.2025 SportEnde August war die ganze Schweiz im Schwing-Fieber. Was bleibt von so einem Anlass, und wie wird er vermittelt?
Der Remetschwiler Roman Wyler, Kampfrichter-Ausbildner, über das ESAF, die Rolle der Medien und die Zukunft des Schwingsports in der Region.
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Ende August war die ganze Schweiz im Schwing-Fieber. Was bleibt von so einem Anlass, und wie wird er vermittelt?
Der Remetschwiler Roman Wyler, Kampfrichter-Ausbildner, über das ESAF, die Rolle der Medien und die Zukunft des Schwingsports in der Region.
◆ Roman Wyler, Sie waren natürlich in Mollis am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest. In welcher Funktion?
Mein offizieller Titel ist Kampftrichter-Verantwortlicher des Nordwestschweizer Schwingerverbands und Kampfrichterausbildner des Eidgenössischen Schwingerverbands. Das Jahr über bilde ich Kampfrichter aus, am Eidgenössischen coache ich.
◆ Inzwischen ist das ESAF eine Weile her. Mit ein wenig Distanz betrachtet: Was bleibt?
Prinzipiell ein gigantischer Anlass, welcher einen positiven Eindruck hinterlässt. Es bleibt aber auch die Erkenntnis, dass es Medien gibt, die immer das Haar in der Suppe suchen. Vor allem ein Boulevard-Blatt macht das systematisch. Wir haben 940 Gänge geschwungen, und man redet über fünf. Man verwendet Begriffe wie «eklatante Fehlentscheide» – es gibt Missverständnisse und schlichte Fehlinformationen. Zugegeben: Schwingen ist ein Sport mit eigenen Regeln, die nicht immer leicht nachzuvollziehen sind. Aber man kann uns ja fragen.
◆ Weshalb klappt die Kommunikation nicht besser?
Wir Schwinger waren lange für uns, es hat sich medial niemand wirklich für unseren Sport interessiert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie SRF 1998 vom Eidgenössischen sendete – und zehn Minuten vor dem Schlussgang auf Formel 1 wechselte. 2004 kam die Kehrtwende, mit dem Eidgenössischen in Luzern. Es gibt mittlerweile plötzlich Live-Sendungen von allen fünf Verbandsfesten, allen sechs Bergfesten, und vom Eidgenössischen sowieso. Übertragungen, Begleitsendungen und dieses Jahr hat SRF sogar am Mittwochabend die Einteilung des ersten Gangs live übertragen, eine halbe Stunde lang. Es ist ein Hype geworden. Für die Schwingerverbände ging das zu schnell, wir haben gar keine Strukturen etablieren können, um damit umzugehen. Wir stecken, was die Medienarbeit angeht, noch in den Kinderschuhen.
◆ Was macht die Faszination Schwingen aus?
Schwingen ist eigentlich kein komplizierter Sport, und er beruft sich auf Werte und auf Traditionen. Zum Beispiel weint ein Schwinger nicht, und er jubelt auch nicht. Beides hat mit Respekt vor dem Gegner zu tun. Und wenn der Kampf vorbei ist, ist es auch vorbei mit der Gegnerschaft. Der Sieger hilft dem Verlierer auf, wischt ihm das Sägmehl vom Rücken. Man schaut sich in die Augen, gibt sich die Hand. Das ist eine Lebensschule, und es hebt den Schwingsport von vielen anderen Sportarten ab, es macht uns auch irgendwie einzigartig und authentisch. Schwinger ist man, oder man ist es nicht.
◆ Ist diese mediale Aufmerksamkeit Segen oder Fluch?
Beides. Natürlich ist Aufmerksamkeit gut für den Sport. Aber wenn dann die Kampfrichter kritisiert werden für Vorgehensweisen, die im Schwingen schon immer so waren und die von den Schwingern auch akzeptiert werden, wird es schwierig.
◆ Können Sie ein Beispiel machen?
Wenn Kampfrichter Entscheide treffen, tun sie das im Moment. Da können Fehler passieren. Wir arbeiten nicht mit Video-Beweisen. Und unser Regelwerk ist von der Länge her ein Bruchteil dessen, was andere Sportarten haben. Da gibt es einen gewissen Ermessensspielraum, den hat es schon immer gegeben, der gehört zum Schwingsport, seit über 100 Jahren. Natürlich kann es vorkommen, dass ein Schwinger im Nachhinein auf einer Fernsehaufnahme erkennt, dass er benachteiligt worden ist. Es kann aber auch das Gegenteil passieren. Als Schwinger verlässt man sich darauf, dass der Kampfrichter einen guten Job macht. Was ja auch fast immer der Fall ist. Wie schon gesagt: Wir hatten 940 Gänge in Mollis, und fünf davon gaben Anlass zu Diskussionen. Dabei ist es gar nicht möglich, fehlerfrei durch ein ganzes Schwingfest zu kommen. Dazu ist der Sport zu schnell, zu dynamisch. Aber noch einmal: Die Fehler bewegen sich im Promille-Bereich.
◆ Auch die Festlegung der Paarungen wird von den Medien hinterfragt.
Es heisst, es gehe intransparent zu und her. Das kommt davon, dass dieser Vorgang sehr kompliziert ist – man versteht ihn nicht auf den ersten Blick. Wir losen die Paarungen nicht aus, sondern wir wählen sie aus, nach einer ganzen Reihe von Parametern. Da wird auch ausgehandelt, zum Teil mit lauten Worten, und taktiert. Das ist so. Aber wie gesagt: Das gehört zum Schwingen, das war schon immer so, und die Schwinger hatten noch nie ein Problem damit. Und es ist nicht so, dass die Sache völlig willkürlich wäre: Wir wollen, dass am Schluss der Beste gewinnt. Alles andere würde dem Sport schaden.
◆ Wenn Sie das ESAF von Mollis mit dem Baldegg-Schwingen vergleichen: Wo liegt der wesentliche Unterschied?
In der schieren Grösse: Wir hatten letztes Jahr rund 1200 Besucherinnen und Besucher. Aber auch wir hatten sehr viel mediale Aufmerksamkeit, und einige wichtige Gäste aus der Politik, was dem Sport natürlich enorm hilft. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es wohl mehr Platz – es ist grossartig, wenn so viele Leute kommen, aber der Platz ist halt begrenzt.
◆ Welches ist der nächste Aargauer Anlass, in den Sie involviert sind?
Das Aargauer Kantonale 2027 in Hausen bei Brugg. Ich bin dort OK-Vizepräsident und Personalchef.
◆ Und wann findet das nächste Baldegg-Schwingen statt?
Da es üblich ist, dass im Jahr nach dem Kantonalen das Kantonale der Jungschwinger vom gleichen Schwingklub ausgerichtet wird und es ressourcentechnisch wenig Sinn machen würde, zwei Grossanlässe im selben Jahr zu veranstalten, wäre das wohl erst 2029. Weil so der Abstand zwischen den Baldegger Anlässen aber sehr gross wird, überlegen wir, 2026 eines zu veranstalten. Wir werden das bald entscheiden, weil die Vorbereitung Zeit braucht.
Susanne Loacker