Wie Familienbeziehungen im Alter gelingen
06.06.2025 FislisbachDie Psychologin Bettina Ugolini sprach im Alterszentrum Am Buechberg über den Rollenwechsel von Kindern und Eltern im Alter
Wie verändert sich das Verhältnis zwischen alten Eltern und erwachsenen Kindern? Ein Vortrag gab spannende Einblicke in die Chancen und ...
Die Psychologin Bettina Ugolini sprach im Alterszentrum Am Buechberg über den Rollenwechsel von Kindern und Eltern im Alter
Wie verändert sich das Verhältnis zwischen alten Eltern und erwachsenen Kindern? Ein Vortrag gab spannende Einblicke in die Chancen und Herausforderungen von Familienbeziehungen.
Von «Bohnenstangenfamilien» sprach die Gerontopsychologin Bettina Ugolini, die an der Universität Zürich zu Beziehungen im Alter forscht. Sie erklärte, «Bohnenstangenfamilien» gebe es in unserer Gesellschaft mehr und mehr – mit einem grossen und dünnen «Stammbaum», mit wenigen Menschen in jeder Generation und nach oben hin wachsend. Vor kurzem hielt die Wissenschaftlerin im Alterszentrum Am Buechberg ein Referat zum Thema «Familienbeziehungen im Alter». Denn noch nie sei das Miteinander zwischen alten Eltern und erwachsenen Kindern so lang, intensiv und herausfordernd gewesen wie heute.
Rollen verändern sich, brechen auf
Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz lag vor 100 Jahren bei rund 55 Jahren. Die Zeiten haben sich verändert, heute lebt man länger, bleibt oft auch länger gesund. Aber irgendwann kommt in jeder Familie der Punkt, an dem sich vieles ändert. Rollen fangen an, sich zu verändern, brechen auf und im schlimmsten Fall entsteht eine Disbalance. Denn früher waren eigentlich die Eltern für alles zuständig. Sie kümmerten sich um die Kinder, trafen Entscheidungen, organisierten den Alltag.
Aber im Alter kommt es zur Wende und oft passiert es, dass die Kinder das Kümmern um die Eltern übernehmen. In diesem Lebensübergang sind plötzlich die Kinder diejenigen, die Verantwortung übernehmen «müssen» – sei es bei Arztbesuchen, im Haushalt oder bei der Pflege. Das sei für beide Seiten nicht immer einfach zu bewältigen, sagt Bettina Ugolini. «Denn die Eltern möchten ihre Selbstständigkeit nicht verlieren und die Kinder fühlen sich manchmal überfordert oder unsicher. Die eigenen Eltern können also nicht mehr den Schutz bieten, sondern bedürfen nun selber des Schutzes durch ihre erwachsenen Kinder.»
Immer auf Augenhöhe bleiben
In den verschiedenen Lebensphasen ist die Eltern-Kind-Beziehung von unterschiedlichen Schwerpunkten geprägt. So sind in der frühen Kindheit Eltern und Kinder eng miteinander verbunden. In der Jugend spielt dann die Abgrenzung eine wichtige Rolle. Und im Erwachsenenalter begegnen sich Eltern und Kinder in einer gewissen Unabhängigkeit. «Im Alter geht es dann darum, wieder zu einer Verbundenheit zurückzukehren», so die Gerontopsychologin. Diesmal sollte diese aber unbedingt ausbalanciert sein und somit dem gelebten Leben Rechnung tragen. Gemäss Bettina Ugolini gelinge das nicht immer ganz reibungslos. Es sollte aber immer auf Augenhöhe geschehen, betonte sie.
Pflege – Belastung und Chance
Wenn Eltern pflegebedürftig werden, entstehen neue Aufgaben für die Jungmannschaft und auch die Fragen von Verantwortlichkeiten müssen neu ausgehandelt werden. Dies kann zu Spannungen führen, vor allem wenn Erwartungen unausgesprochen bleiben. Viele Konflikte können entstehen, weil Dinge nicht offen angesprochen werden. Deshalb sei es wichtig, so Ugolini, dass frühzeitig über Wünsche, Ängste und Möglichkeiten gesprochen werde, dass man einander zuhöre – auch wenn es schwerfalle und dass man lerne zu akzeptieren, dass sich Rollen verändern. Dennoch bleiben Eltern immer Eltern und Kinder immer Kinder, verbunden in Liebe und Respekt – auf beiden Seiten.
Was Familienbeziehungen stärkt
Gemäss Ugolini sei es sicher förderlich, Gespräche stets auf Augenhöhe zu führen und auch klare Absprachen zu machen und anstehende Aufgaben zu verteilen. Ebenfalls hilfreich sei, Verständnis für die Situation des anderen aufzubringen. Auch solle man sich nicht scheuen, externe Hilfe anzunehmen. Bettina Ugolini erklärte, dass bei einer Familienkonstellation von drei Geschwistern zum Beispiel lange nicht alle gemeinsam die Aufgabe der Betreuung der Eltern übernehmen wollen oder können. Jedes der drei Kinder habe über die Jahre eine eigene individuelle Beziehung zu den Eltern aufgebaut. Man müsse auch unter Geschwistern akzeptieren, wenn das Können oder das Wollen einem einen Strich durch die Rechnung mache.
Ugolini betonte aber auch, letztlich sei es immer sehr bereichernd, auch schöne gemeinsame Momente zu schaffen. Denn ein neues «Miteinander» kann gleichzeitig auch die Beziehung vertiefen. Es können neue Formen von Nähe, Vertrauen und Dankbarkeit entstehen. Sicher sind Familienbeziehungen im Alter anspruchsvoll – aber gleichzeitig auch äusserst wertvoll. Mit Ehrlichkeit, Offenheit, Geduld und gegenseitigem Respekt erhalten Beziehungen eine neue Tiefe. «Ein gutes Miteinander ist möglich, wenn man bereit ist, sich aufeinander einzulassen. Sich auf Augenhöhe zu begegnen, ist keine Frage der Körpergrösse, des Geschlechts oder des Alters und schon gar keine Frage der Rolle. Augenhöhe ist eine Frage der inneren Haltung» betonte die Gerontopsychologin Ugolini.
Wie hätten die Eltern entschieden?
Im Anschluss an das Referat konnten Fragen gestellt werden und diese Gelegenheit wurde rege genutzt. So wollte eine Besucherin wissen, wie man sich denn bei Entscheidungsfragen verhalten sollte, wenn Eltern zwischenzeitlich dement seien. Ugolini antwortete entwaffnend simpel: «Stellen Sie sich einfach vor, wie die Eltern entschieden hätten, wenn sie noch gesund gewesen wären.» So gelange man ziemlich schnell zu einer Antwort.
Isabel Steiner Peterhans
Bettina Ugolini
Bettina Ugolini ist dipl. Pflegefachfrau HF und Diplompsychologin. Seit 2002 leitet die promovierte Gerontopsychologin die Beratungsstelle LiA, «Leben im Alter», am Zentrum für Gerontologie an der Universität Zürich. Sie verfügt über langjährige Beratungs- und Führungserfahrung im Alters- und Pflegebereich und ist Dozentin in verschiedenen Weiterbildungsprogrammen innerhalb und ausserhalb der Universität Zürich. (isp)